Weihnachten feiern

«Mir ist überhaupt nicht nach Weihnachten dieses Jahr», mault Vater Maier, als seine Frau beim Familienznacht antönt, man sollte dringend mit der Planung des Festes beginnen. «Ich spüre im Moment nicht gerade viel von Friede auf Erden.» «Aber wie willst du diesen Abend sonst verbringen?», wendet sie ein. «Im Kino oder vor dem TV?» «Da laufen auch bloss Weihnachtsfilme. Das ist ja das Schlimme: Man kann der Weihnacht nicht ausweichen und
wird immer daran erinnert, dass es die heile Welt, die man da zelebriert, nicht gibt.» «Wer zelebriert da eine heile Welt?», mischt sich die Tochter ein. «Unverheiratetes Paar, sie hochschwanger, sind unterwegs, finden keine Unterkunft, die Wehen beginnen, sie suchen Unterschlupf in einem Stall, dort bringt sie das Kind zur Welt, ohne Hebamme oder Arzt – das finde ich nicht wirklich romantisch.» «Wäre eine geile Szene in einem Film», meint ihr Bruder. «Voll spooky.» «Aber die Engel haben doch gesungen», wendet die Mutter ein. «Und die Hirten und die Könige und der Stern von Bethlehem - erinnert ihr euch noch an die Krippenspiele?» «Das ist es ja», sagt der Vater,

«wir ertränken alles in Zuckerguss. Stellt euch vor, die Szene spielt sich in Gaza ab!» «Vielleicht war es ja damals wie in Gaza. Oder wie in Donezk», meint die Tochter. «Aber an Weihnachten kommt doch Gott auf die Welt, so dass es gut kommt», sagt die Mutter. «Das ist Hoffnung!» «Wie feiert man Hoffnung», fragt der Vater, «wenn man nicht mehr viel

davon hat?» «Ich habe eine Kollegin, die kommt aus der Ukraine», erzählt nun die Tochter. «Sie sagt, sie freut sich auf Weihnachten. Weil man da mal die Probleme vergisst und eine verrückte Hoffnung hat. Nicht auf den Dreck im Stall schaut, sondern auf das Baby.» «Stimmt», sagt die Mutter. «Nichts macht so sehr Hoffnung als ein Kind.»

05.12.2024 :: Samuel Burger