Schwarz, weiss oder grau?

Es geht mir jetzt besser. Nein, ich meine nicht die Viruskrankheiten in letzter Zeit, die mich beutelten. Vielmehr haben mich schockierende Weltereignisse und Krisen in meiner Familie in ein Gedankenkarussell geschubst, das sich nach dem Aufstehen und vor dem Einschlafen drehte. Doch dieses Karussell konnte ich anhalten.

Auf welche Seite soll ich mich stellen? Schwarz, weiss oder vielleicht doch grau? Rechthaben ist gross in Mode. Aber woher kommt eigentlich dieser innere Zwang sich immer entscheiden zu müssen? Wer ist gut? Wer ist böse? Was ist richtig und was falsch?

Dazu sollten wir nur einen Blick darauf werfen, womit wir Zerstreuung finden. Krimis, Quizsendungen, Talkshows und Superstar-Wettbewerbe dominieren die Mattscheibe. In Krimis wird der Täter am Schluss natürlich gefasst. Quizfragen haben immer eine einzige Antwort. In Jurys gehen die Daumen rauf oder runter. Und in Talkshows stellen sich Gäste als Sieger dar, welche die einzig richtige Meinung zu kennen meinen.

Denn unsere grauen Zellen tun das, wofür die Evolution sie ausgewählt hat: Sie suchen die besten Lösungen. Wer Lösungen gefunden hatte, der über­lebte. Das von Ahn zu Ahn weitergegebene Problemlösegehirn speichert die Vergangenheit im Gedächtnis, um mit der Zukunft besser klarkommen zu können. Die Hauptbeschäftigung unseres Gehirns ist es, vorauszusagen, sagen Neurowissenschaftler. Wir fragen uns immer wieder: Was kann ich machen, um die Zukunft zu bewältigen? Dass unser Gehirn auf Lösung drängt, ist eine tolle Einrichtung. Denn es schützt uns oft vor unliebsamen Konsequenzen und Eskalationen. Wir nennen das «gesunden Menschenverstand». Doch nicht alle Fragen unseres Lebens lassen sich lösen wie ein Rätsel. Es scheint, als würden wir genau das anstreben. So sitzen wir in diesem Gedankenkarussell, das sich immer weiterdreht.

Natürlich gibt es Sachverhalte, da können wir ganz klar sagen, auf welcher Seite wir stehen. Das bezeugen allein all die aktuellen Demonstrationen, die wir gutheissen oder ablehnen. Aber vielleicht sollten wir uns auch ab und zu Ambivalenz leisten und sie aushalten. Zu sagen – ich verstehe die eine, aber auch die andere Seite – kann sehr befreiend sein. Und auch sich mal zurückzuhalten, wenn man nach seiner Meinung gefragt wird, ist Gold wert. Meine Töchter haben mich mal gefragt, was «Erwachsen sein» bedeutet. Ich habe geantwortet: «Wenn man in der Lage ist, auch mal den Mund zu halten, wenn man eigentlich etwas sagen möchte, ist man erwachsen.»

14.03.2024 :: Christina Burghagen (cbs)