Als das Walliser Dorf Blatten vom Berg begraben wurde, hat mich das beschäftigt. Wie grausam muss es sein, wenn dein Zuhause über Nacht versinkt, sagte ich in einer Runde von Bekannten. Einer konterte, es gäbe so viel Leid auf der Welt: Ukraine, Gaza, Sudan usw., da hielte sich sein Mitleid für Blatten echt in Grenzen. Noch vor ein paar Jahren hätte ich betreten genickt und mich unwohl gefühlt. Denn da hatte ich noch keine Antwort auf die Frage: Ist es sinnvoll, Leid zu vergleichen? Ich meine jetzt nicht einen abgebrochenen Fingernagel und einen schweren Unfall. Aber wir kennen diese Sprüche wie: «Das ist doch lächerlich, ich habe in deinem Alter sogar das und das überstanden.» In meiner Kindheit war es der Spruch: «Du isst das auf, die Kinder in Afrika wären froh ...» Mir leuchtete das nicht ein. Denn wenn ich satt war und noch mehr essen sollte, half das den afrikanischen Kindern kein Stück. Dann begegnete ich Viktor E. Frankl (1905-1997). Der Wiener Professor für Neurologie und Psychiatrie ist durch seine Logotherapie weltweit bekannt. Fast seine ganze Familie wurde von den Nazis ermordet, er selbst überlebte vier Konzentrationslager. «Der Nationalsozialismus hat den Rassenwahn aufgebracht. In Wirklichkeit gibt es aber nur zwei Menschenrassen, nämlich die ‹Rasse› der anständigen Menschen und die ‹Rasse› der unanständigen Menschen. Und die ‹Rassentrennung› verläuft quer durch alle Nationen und innerhalb jeder einzelnen Nation quer durch alle Parteien.» Das ist eines seiner berühmten Zitate. Zufällig stiess ich vor Jahren auf ein Interview, das ich gebannt verfolgte. Er wurde gefragt, wie es ihm möglich sei, seine Patienten mit augenscheinlich lapidaren Schicksalsschlägen ernst zu nehmen angesichts seiner eigenen Biografie. Frankl erwiderte vehement, das Leiden liesse sich nicht vergleichen, das sei töricht. Jede psychische Krise, die aus belastendem Erlebten entspringe, müsse ernst genommen werden. Diese Worte haben mir eine neue Tür aufgestossen und mich verständnisvoller gegenüber meinen Mitmenschen gemacht. Vorher gehörte ich eher zu der Gruppe, die oft dachte: «Die soll sich mal nicht so anstellen. Was soll ich denn da sagen…» Im Internet befinden sich zahlreiche Videos mit Viktor Frankl. In seinem weltberühmten Buch «…trotzdem Ja zum Leben sagen» erzählt er über seine Zeit im KZ. Noch ein Zitat von Frankl: «Wenn Leben überhaupt einen Sinn hat, muss auch Leiden einen Sinn haben. Es kommt nicht darauf an, was man leidet, sondern wie man es auf sich nimmt.»