Eine senfgelbe, augenscheinlich nachlässig gefaltete Strickdecke, lässig über eine Sofalehne drapiert, zaubert einen frechen Farbtupfer in die sonnendurchflutete Loft-Wohnung. Auf dem Beistelltischchen, einem Design-Schnäppchen vom Flohmarkt, thront eine bauchige Glasvase, aus welcher ein bestechend schlichtes Arrangement aus getrockneten Pflanzenstängeln ragt. Dahinter, an der Wand, ein String-Regal. Zwischen den nach Farben sortierten Buchrücken setzen sich liebevoll kuratierte Deko-Objekte gekonnt in Szene und verleihen dem Bücherbord eine charmante Leichtigkeit. Ein durchwegs stimmiges Gesamtbild, ein wahrhaftiger Wohntraum. Das ist doch nicht normal! Beim Putzen bin ich auf eines dieser schönen Wohn-Magazine gestossen. Ich habe das ganze Heft durchgeblättert. Die abgebildeten Wohnungen sind beängstigend makellos. Sogar vorgeblich zufällig herumliegendes Kinderspielzeug passt sich farblich und kompositorisch ins Gesamtbild ein. Keine Spur von Plastikschrunz in Signalfarben und mit Disney-Aufdruck. Offenbar wurden Gotti, Götti und die Grosseltern bezüglich Farbkonzept nachhaltig instruiert. Auch fällt auf, dass auf keinem der Hochglanzfotos auch nur eine Spur von Dreck zu sehen ist. Kein Stäubchen. Keine Katzenhaare. Keine verkümmerte Zimmerpflanze. Nicht einmal eine fleckige Banane in der Früchteschale. Fühlt sich das noch wie Wohnen an oder eher wie Möbelausstellung?
Bei uns steht ebenfalls die eine oder andere Brockenhaus-Trouvaille. Auch wir besitzen ein paar hübsche Möbel. Aber diese Schätze liegen meist verborgen unter den Spuren, die ein ganz normaler Familienalltag hinterlässt. Die einschlägigen Wohnmagazine propagieren da ein völlig verzerrtes Ideal. Wird es nicht langsam Zeit mit dem Wohn-Wahn aufzuräumen? Brechen wir aus, aus dem Ordentlichkeits-Korsett! Kampf dem Reinlichkeits-Gebot! Stehen wir zu unseren Kalkflecken, begrüssen wir unsere Spinnweben, umarmen wir unsere Staubmäuse! Die Fensterscheibe ist nicht schmutzig, das ist ein natürlicher Sichtschutz. Die Stockflecken auf den Polstern der Gartenmöbelgarnitur? Trendiger Dalmatiner-Print. Schluss mit «Schöner Wohnen», «Ehrlicher Wohnen» ist das neue Lebensgefühl! Deine Wohnung ist okay, so wie sie ist. Wohnungs-Positivity! Ein Blick auf die Uhr. Oha! Nur noch zwei Stunden, bis Besuch kommt. Ich versorge das Heft im Zeitungsständer, dann hole ich den Staubsauger hervor. Verstehen Sie mich nicht falsch; ich mag es schon sauber, ich putze nur nicht so gerne.