Secondhand Wonderland

Ich mag Flohmärkte. Die Vorstellung, dass jedes der unzähligen Dinge eine eigene Geschichte hat. Und natürlich die Chance, eine Trouvaille zu ergattern. Neulich war ich auf einem Flohmi in einem hippen Quartier in der Stadt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Flohmärkten, wo die Waren auf einem Marktplatz feilgeboten werden, breitet das Quartiervolk hier seinen überflüssigen Karsumpel vor Haustüren, Garageneinfahrten und auf den Trottoirs aus. Dann setzen sich die Hobbyhändler*innen dazu und warten darauf, dass jemand etwas kauft. In der Zwischenzeit schlürft man selbstfermentierten Holunder-Ingwer-Matcha-Sirup oder IPA-Craftbier aus der lokalen Mikrobrauerei und lässt sich die Sonne auf die tätowierten Körper scheinen. Hier wird urbane Unkompliziertheit zelebriert. Birkenstockromantik a gogo.

Angeboten wird ein Querschnitt durch die Abstellkammern der Altbauwohnungen: entbehrliche Relikte, Lebensmosaikbruchstücke. Stapelweise CD´s (Best of the 90´s), abgegriffene Actionfiguren, Urlaubssouvenirs mit verblasstem Erinnerungswert, ausgebleichte T-Shirts, abgetragene Schuhe, Kerzenständer, ein Nasenhaartrimmer, originalverpackt… Und Bücher, jede Menge Bücher. Manche arg zerlesen, daneben einzelne, die aussehen wie neu. Das finde ich verwunderlich. Warum verkauft hier jemand ein ungelesenes Buch? Ich nehme eines zur Hand. Schönes Exemplar. Hardcover, Leinenumschlag, eine Schweizer Autorin, die ich sehr schätze. Das Büchlein sträubt sich sacht beim Aufschlagen, knarrt sogar leise, wie es nur ganz neue Bücher manchmal tun. Auf der ersten Seite steht eine Widmung: «Für Elsa, in tiefer Freundschaft», darunter ein Kürzel, J.L., und ein Datum von vor zwei Jahren. Das Exemplar macht den Eindruck, als sei es ausser für die Widmung kein einziges Mal geöffnet worden und jetzt, zwei Jahre später, wird es verramscht! Wie es wohl um die tiefe Freundschaft zwischen Elsa und J.L. steht? Hinter dem Campingklapptisch, der als Marktstand dient, sitzt eine Frau. Leinenlatzhosen, selbstgebastelte Frisur, Totenkopffalter-Tattoo auf dem Unterarm. Ob das Elsa ist? Was, wenn sich J.L. auch auf dem Flohmi tummelt, vielleicht unterwegs hierher, um eine gute Freundin zu überraschen? Wäre doch peinlich, wenn das verschmähte Geschenk dann noch hier in der Auslage läge.

«Zwei Franken», sagt die mutmassliche Elsa auf meine Frage, was sie für das Buch haben wolle. Gekauft.

So gewinne ich gute Lektüre und obendrein habe ich Elsa vor einer möglicherweise drohenden Blamage bewahrt. Ein Schnäppchen! 

26.06.2025 :: Peter Heiniger