Als dieser Fremde mich fragte, ob an meinem Tischchen noch ein Platz frei sei, ahnte ich nicht, dass mit ihm die Welt über mir hereinbricht. Das Haus hier sei früher ein Kino gewesen, sagt er. Als Bub habe er Kaninchen gezüchtet, gemetzget und mit dem Geld Kinobillets gekauft. Am liebsten amerikanische Filme. Cary Grant, Judy Garland. Beide schon lange tot. Sowieso, Amerika, früher hatte das Glanz, heute bloss noch peinliches Cabaret. Es sei halt nicht mehr wie früher. Auch die Jungen. Die können gar nicht mehr richtig arbeiten. Aber die seien da nicht selber schuld, die hätten es ja nicht gelernt. Die heutigen Jungen kommen ja immer von den gestrigen Jungen. Er selber sei seit kurzem pensioniert. Ein Leben lang gekrüppelt, trotzdem nicht reich geworden. Fünfhunderttausend Jahre hätte er arbeiten müssen! Fünfhunderttausend Jahre, um bei seinem Stromerlohn auf das Vermögen des reichsten Schweizers zu kommen. Ich könne das gerne nachrechnen, sagt er. Aber er würde gar nicht so viel wollen. Ein Zehntelrappen würde genügen. Ein Zehntelrappen für jede Kilowattstunde Strom, die bis heute durch all die Kabel geflossen sind, die er während seiner vierzig Jahre als Elektroinstallateur eingezogen habe. Das wäre nicht viel verlangt. Ein Zehntelrappen und er müsste sich keine Sorgen ums Geld mehr machen. Nie mehr. Es sei ein Scheissdreck, dass sich immer alles ums Geld drehe. Geld sei eine Illusion. Lieber für ein gemütliches Bierchen in ein Gartenrestaurant hocken. Prost! Aber seine Lieblingsbeiz sei jetzt auch zu. Der Krebs fresse den Wirt auf, früher eine Fluh von einem Mann (er streckt beide Arme von sich, um die Schulterbreite zu zeigen) und heute... Der habe auch nie etwas anderes gekannt als Krampfen. Aber hier sei auch schön, sagt er. Schöne Terrasse. Und dann bei diesem Wetter. Herrlich! Aber schon wieder zu warm und zu trocken. Viel zu trocken. Ja, das Klima und die Politik und die Arbeitslosen, der Fachkräftemangel, die Ausländer, der Krieg, Ukraine, Gaza, Somalia. Der Euro Vision Song Contest!... Allmählich schwindet meine Aufmerksamkeit. Ich nicke noch ab und zu oder mache «mhm» oder «äuä». Ihm scheint das zu reichen. Ohne Unterlass fliesst es aus ihm heraus. Atemlos. Mitten im Satz wechselt er das Thema. Schaum steht ihm in den Mundwinkeln. Er referiert, als müsste er sonst bersten. Mir gelingt es, die Abendsonne und mein Bier immerhin ein bisschen zu geniessen. Schliesslich habe ich mir heute etwas früher Feierabend gegönnt. Schliesslich ist erster Mai.