Meine Katze liegt vor mir auf dem Sofa. Mein Nervensystem entspannt sich beim blossen Zuschauen, wie sie sich Yin-Yoga-meisterlich ins Sofa hineinschmelzt. Sie reagiert auf meine Streicheleinheiten mit einem liebevollen und zugleich selbstbewussten Augenaufschlag. Sie kennt mich in- und auswendig. Sie sah mich weinen und lachen. Sie begleitete mich zur Kloschlüssel während der Schwangerschaft, lag anschliessend wieder bei mir auf dem Bauch und schnurrte weiter. Dies nur als kleines Beispiel, in welche Abgründe sie mit mir schon gestiegen ist. Sie kennt mich und sitzt urteilsfrei und kommentarlos da, voller Liebe und Güte. Mit einem kleinen, stillen Blickaustausch ist alles klar, ohne weiteren Kommentar. Es braucht höchstens noch ein «Miaaaau» und ich werde herzensschlau. Und diese Stille zwischen uns, in der ich mein Herz schlagen höre und sie schnurrt. Sie ist alles, was ich brauche. Eigentlich. Wäre da nicht diese andere Hand, dieser eine Finger. Er ist wie hypnotisiert ans Smartphone geklebt, keine Ahnung, ob er lebt, ob er schwebt, ob er empfindet, er ist wie wild das kalte Ding am Streicheln, welches blinkt und leuchtet, mit kaltem Licht Texte und Bilder zu mir sendet und mich vor vollendete Tatsachen stellt.
Ich liege auf dem Sofa. Meine Katze neben mir, eine Hand ruht auf ihrem Fell ganz warm und kuschelig. Die andere Hand ist am Durchdrehen. Die Finger scrollen, sie tippen, sie sind nervös. Sie geben ein, fordern, wollen Ergebnisse, wollen Erklärungen, wollen sich schlau machen. Sie tippen und tippen. Sie werden gelockt vom ChatGPT-Gott. Die Freunde sind zu wenig verlässlich und die Katze, ja sie schnurrt süss und doch, es reicht mir nicht! Ich will Fakten und Zahlen, konkrete Tipps und Tricks für den Alltag, schnell! Es vibriert und surrt. Bitte Endspurt. Gebt mir mehr Infos, mehr Wissen, mehr Anhaltspunkte. Bitte, ordne mir meine Gedanken, meine Fotos, meine Datenbanken, meine Hobbys, meine Freunde, mein Geld, meine Welt. Bitte schnell und genau und besonders schlau. Ich habe keine Zeit. Es vibriert, es scrollt, es rollt… Online all the time! Tipp, tipp... scroll, scroll! Schnell!
Meine andere Hand auf dem Fell, sie ist warm, sie ist verbunden. Sie hat unendlich viel Zeit. So bricht die ChatGPT-Hand erschöpft zusammen, mit ihr sogleich auch ihre Datenbanken. Sie lässt sich fallen auf das weiche Fell, neben die schon entspannte streichelnde Hand. Das Smartphone fällt vom Sofa, mit einem dumpfen Knall. Dort piepst, blinkts und vibrierts immer weiter, doch ich habe mich für das Schnurren entschieden. Im Namen des Friedens. Miaaauu!