Wir waren in der fünften Klasse, als eines Morgens der Klassenlehrer vor uns trat und mit Tränen in den Augen verkündete: «Ich muss euch leider mitteilen, dass gestern euer lieber Klassenkamerad, der Christoph, bei einem Verkehrsunfall gestorben ist.» Wir waren total geschockt, begannen zu weinen, zu schreien. Mindestens ein halbes Jahr, was in diesem Alter eine Ewigkeit bedeutet, schwebte über mir eine schwarze Wolke der Trauer. Viel später, ich hatte die dreissig schon überschritten, starb einer meiner besten Freunde, ebenfalls bei einem Verkehrsunfall. Meine Trauer war grenzenlos, ich brauchte mindestens ein Jahr, um über diesen Verlust hinwegzukommen. Doch seit ich über sechzig bin, hat sich mein Verhältnis zum Tod völlig verändert. Gefühlt alle zwei Monate erfahre ich, dass jemand in meinem Bekanntenkreis an Krebs erkrankt ist. Ich erwidere auf solche Hiobsbotschaften mittlerweile: «Ja hört denn das nie mehr auf?» Und eigentlich kenne ich ja die Antwort auf meine eigene Frage bestens: Nein, es hört eben nie mehr auf, im Gegenteil, es wird jetzt immer mehr zunehmen. Der Tod wird ab einem gewissen Alter zur Normalität. Ich erinnere mich gut, wie meine Grossmutter, 97-jährig, im Altersheim feststellte, dass sie langsam die Einzige aus ihrem Freundeskreis sei, die noch lebe. Selbstverständlich bin ich immer noch sehr traurig, wenn ein Mensch aus meinem Umfeld stirbt. Aber ich stelle fest, dass sich die Trauerphase verkürzt. Ich muss mich wohl oder übel mit dem Älterwerden immer mehr an den Verlust von geliebten Menschen gewöhnen. Gefühlt quartalsweise flattern die Todesanzeigen ins Haus. Ich ertappe mich bei Gedanken wie: Ah, jetzt ist der oder die schon vorgegangen, wann gehe wohl ich? Der Tod wird zu etwas Normalem, ich habe mich mittlerweile mit ihm versöhnt. Durch die Akzeptanz des Todes, und dadurch, dass ich mich selbst immer weniger wichtig nehme, hat der Tod seinen Schrecken verloren.
Und immer wieder kommt mir folgender Text des genialen Mani Matter in den Sinn, welcher die eigene Vergänglichkeit auf den Punkt bringt: «Einisch am´ne Morge, oder am´ne Namittag, wärde zwee vo mine Bekannte irgendwo sich träffe. Und si wärde brichte zäme über dis und das und äis, und uf ds Mal wird eine säge: Bsinnsch du di a Matter? Und de wird dr ander säge: Meinsch, dä, wo so Liedli macht? Ja grad dä. – Was isch mit däm? Dä syg chürzlech gstorbe! Und de wird dr ander vilicht säge: eh was du nid seisch!»