Lieber Kotbunker als Krieg

Krieg: Horror. Patriarchat: zermürbend. Diktatoren: gefährlich. Tech-Milliardäre: unheimlich. Klima: beängstigend. Diskriminierung: ungerecht. Armut: schlimm. Würde es nicht so dermassen ignorant und unsensibel klingen, dann würde ich an dieser Stelle gerne schreiben, dass ich derzeit beim Nachrichtenschauen fast einschlafe. So müde macht mich der Takt dieser immer gleichen Themen. Dieser Kreislauf aus Einstecken, Verzweifeln, Aufraffen, auf die Strasse gehen, den Kindern und sich selber neuen Mut zureden, nur um ihn bei der nächsten Schreckensnachricht gleich wieder zu verlieren. Auf diese allgemeine Erschöpfung hätte ich meine Kolumne aufgebaut, wäre nicht kurz vor der Deadline ein Magazin in meinen Briefkasten geflattert. Adressiert an mich persönlich, alles in allem aber für «alle Menschen 60+, die ihr Leben aktiv gestalten». Meine Lethargie war schlagartig verflogen, denn ich fühlte mich wahnsinnig ertappt. Wurde ich beobachtet? Ich war in den letzten Wochen aufgrund zweier, leider beidseitig passierter, Fussverletzungen eben tatsächlich recht steif unterwegs gewesen. Musste aufgrund dessen auch immer mal rasten, seufzen und laut zu mir selber sagen, dass ich halt nicht mehr die Jüngste sei. Und ja, ich hatte, wenn ich mich recht erinnere, einer Bekannten, die ich erst mehrfach nicht habe rufen hören, von meiner neusten Grauabdeckung erzählt, bevor ich im Laden die Nahrungsergänzungsmittel ansteuerte. Aber gibt es denn so etwas wie einen analogen Algorithmus, der dich im Alltag verfolgt und deinem Verhalten entsprechende Abonniervorschläge in den Briefkasten spült? Oder ist vielleicht doch alles viel harmloser und die Schnupperausgabe des Seniorenmagazins ist bloss ein Racheakt des Ehepaars, dem meine beste Freundin und ich vor 30 Jahren Utensilien aus dem nicht ganz jugendfreien Bereich des «Jelmoli»-Katalogs bestellt hatten? Egal, ich nahm das Heftli aus dem Briefkasten und begann zu lesen. Da stand Genussvolles über «Aprikosen, die süsseste Versuchung des Sommers», über Wanderlust oder den «Kotbunker» der Universität Zürich, in dem zur Erhaltung wertvoller Darmbakterien bei minus 80 Grad «rund 2000 Stuhlproben aus aller Welt» gelagert werden. Was soll ich sagen, dieses Magazin war besser als jeder künstliche Energy-Booster. Es weckte meine ausgelaugten Lebensgeister und gab mir neue Zuversicht. Denn wies scheint wird mir in 15 Jahren, mit 60+, endlich wieder eine Perspektive auf eine freudvolle, gesunde, leckere Welt geboten werden.

03.07.2025 :: Miriam Margani-Lenz (mml)