Ein bahnhistorischer Sensationsfund

Ein bahnhistorischer Sensationsfund
Der Wagenkasten der Gotthardbahn stammt aus dem 19. Jahrhundert. / Bild: zvg
Entlebuch: Die Entstehung der Eisenbahnlinie im Entlebuch war eng mit der Politik verknüpft. Im Referat beim Historischen Verein wurde weiter von einem Sensationsfund berichtet.

Jürg Schmutz, Staatsarchivar des Kantons Luzern, referierte beim Historischen Verein Entlebuch zum 150-Jahr-Jubiläum der Eisenbahnlinie durch das Tal.

Der im Publikum anwesende Richard Portmann ergänzte das anspruchsvolle Referat des Staatsarchivars mit einer interessanten Anekdote: Beim Bahnhof Entlebuch steht seit Jahrzehnten eine mit Kühen und Bergmotiven bemalte Baracke. Sie diente als Unterkunft für Streckenarbeiter. Erst kürzlich habe eine interessierte Person festgestellt, dass es sich dabei um den einzigen erhaltenen Drittklass-Wagen der damaligen Gotthardbahn handelt. Der Wagen wurde in den Jahren 1882?/?83 gebaut und im Inneren ist alles noch original. Aufgrund historischer Aufnahmen konnte man festlegen, dass der Wagen irgendwann zwischen 1922 und 1946 in Entlebuch auf einem Betonsockel installiert wurde. Das Fahrgestell des Wagens diente noch bis in die 1960er-Jahre für Kohletransporte.

Der bahnhistorische Sensationsfund wurde Mitte Dezember vom Dampfbahn-Verein Zürcher Oberland nach Winterthur transportiert und wird dort restauriert. Pünktlich zum 150-Jahr-Jubiläum der Gotthardbahn im Jahr 2032 soll der Wagen in Nostalgiezügen mitfahren.


Fünf Stunden zu Fuss über die Rengg

Staatsarchivar Jürg Schmutz zeigte im Detail auf, wie die nationale, kantonale und regionale Verkehrspolitik die Entstehung der vermeintlich einfachen regionalen Verbindungsstrecke durch das Entlebuch äusserst anspruchsvoll machte.

Bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts war das «Entlibuch» verkehrstechnisch kaum erschlossen. «Wollte man zu jener Zeit von Entlebuch nach Luzern», so Schmutz, «bedeutete das einen fünfstündigen Fussmarsch über die Rengg.» 1830 wurde eine erste einfache Strasse über die Rengg nach Schachen eröffnet. Und erst nochmal sechs Jahre später war dann die Talstrasse via Werthenstein durchgehend befahrbar. Ab 1843 verkehrte dreimal pro Woche eine Postkutsche zwischen Luzern und Langnau. Jeweils in Entlebuch mussten die Pferde gewechselt werden.


Truppen in Schüpfheim geschlagen

Erst drei Monate vor dem Sonderbundskrieg, am 7. August 1847, wurde der erste Streckenabschnitt einer Eisenbahn auf Schweizer Boden überhaupt eröffnet. Es handelte sich um die als Spanisch-Brötli-Bahn bekannte Strecke zwischen Zürich und Baden.

General Dufour der eidgenössischen Armee erkannte die neuen Möglichkeiten sofort und liess einen Teil seiner Truppen per Eisenbahn verschieben. Am 23. November 1847 wurden in der Folge Truppen des Sonderbundes in Schüpfheim geschlagen. «Der erste militärische Einsatz der Eisenbahn war somit unter an­derem auch gegen Luzern gerichtet», erklärte Jürg Schmutz. Nichtsdestotrotz erkannte man auch im Kanton Luzern die grosse wirtschaftliche Bedeutung dieses modernen Verkehrsmittels. Bereits 1852 genehmigte der Grosse Rat eine Eisenbahnkonzession. Allerdings war in dieser Konzession eine Bahn Richtung Bern durch das Entlebuch nicht vorgesehen.


Feilschen um die Linienführung

Mit der Eröffnung der Spanisch-Brötli-Bahn brach in der Schweiz ein neues Zeitalter an, das Eisenbahnfieber war ausgebrochen. Auf nationaler Ebene gab es Kräfte, die in der Bahn ein grosses, nationales Einigungswerk sahen. «Der noch lange nicht überall beliebte, neu gegründete Bundesstaat sollte durch die Eisenbahn als Erfolgsgeschichte besser im Volk verankert werden», so Schmutz. Das erste Schweizerische Eisenbahngesetz von 1852 entschied aber anders und legte fest, dass Bau und Betrieb von Eisenbahnen der privaten Tätigkeit überlassen werden soll.

Nachdem das Eidgenössische Eisenbahngesetz die Leitlinie festgelegt hatte, wurde in den Luzerner Räten und Behörden erbittert um die Linienführung gefeilscht. Eine Variante führte über Sursee, die im Entlebuch priorisierte über Wolhusen. Erst die Gotthardfrage führte zu einer Lösung. Der Kanton Bern wollte eine Anbindung an eine künftige Gotthardlinie durch das Entlebuch und genehmigte deshalb eine finanzielle Beteiligung. Im Februar 1873 konnten die Bauarbeiten beginnen und am 11. August 1875, vor 150 Jahren also, wurde die Bahn durchs Entlebuch in Betrieb genommen.


Rückkauf der privaten Bahnen

Die Eisenbahn trug viel zur wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz bei, aber das Bahnnetz war nicht koordiniert. Um dem Wildwuchs zu begegnen, erliess der Bund 1872 ein neues Eisenbahngesetz, das ihm erlaubte, die bisher privaten Linien zurückzukaufen. In dieser Frage spielte der Entlebucher Bundesrat Josef Zemp eine tragende Rolle. Vorerst überzeugter Vertreter der privat betriebenen Bahnen, kam er schliesslich zur Überzeugung, dass «ein Rückkauf am besten ist».

1898 stimmte das Schweizervolk mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit einem Rückkauf zu. Bloss das Entlebuch, die Stammlande Zemps, lehnte ab. Diese Abstimmung machte den Weg zur Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen im Jahr 1902 frei, der heute noch existierenden Staatsbahn.

18.12.2025 :: Beatrice Keck (keb)