Gehörloses Paar lebt für den Sprint

Gehörloses Paar lebt für den Sprint
Kim Lenoir (links) und Elaine den Exter im Pre-Camp vor den Deaflympics. An den Paralympics sind gehörlose Sportlerinnen und Sportler nicht zugelassen. / Bild: zvg
Leichtathletik: Kim Lenoir und Elaine den Exter aus Konolfingen sind das wohl schnellste gehörlose Paar der Welt. An den Deaflympics in Tokio holte sie im Sprint Silber, er wurde Sechster.

Sie trainieren gemeinsam und teilen denselben Traum: eine Medaille an den Deaflympics, den Olympischen Spielen für Gehörlose. Für Elaine den Exter (28) und Kim Lenoir (29) aus Konolfingen ging dieses Ziel im November in Tokio teilweise in Erfüllung. Die Niederländerin gewann Silber über 100 Meter, der Schweizer klassierte sich als Sechster. Im Gespräch geht es um sportliche Erfolge und die unsichtbare Behinderung, die ihren Alltag prägt.


Weltklasse-Sprinter mit Rekorden

Den 18. November wird Elaine den Exter nicht so schnell vergessen. In Tokio stand sie auf dem Podest, nur die französische Weltrekordhalterin war schneller. «Die Medaille an den Deaflympics, die alle vier Jahre stattfinden, fehlte mir noch.» Lenoir lief eine solide Zeit, doch für das Podest reichte es ihm nicht. «Ich war überzeugt, dass mindestens jemand von uns beiden mit einer Medaille nach Hause kommen wird», erklärt er. Sie seien ein Team und er freue sich für sie.

Elaine den Exter und Kim Lenoir haben sich durch die Leichtathletik kennengelernt. Sie trainieren bei der LV Thun, sind hochgradig schwerhörig und leben für den Sprint. «Wir sind wahrscheinlich das schnellste gehörlose Paar der Welt», meint den Exter. Sie ist Weltrekordhalterin der Gehörlosen über 60 Meter Halle mit 7.60 Sekunden. Lenoir hält mit 10.86 Sekunden den Schweizer Rekord über 100 Meter. Der Start erfolgt durch visuelle Startsignale mit Farbampeln.

Schon letztes Jahr überzeugten sie mit starken Resultaten an der WM in Taiwan. Er wurde in der Folge zum Berner Sportler des Jahres mit Beeinträchtigung gewählt.


Intensive Vorbereitung auf Tokio

Neben ihrer Arbeit trainieren die beiden zehn bis zwölf Stunden pro Woche, fünfmal in der Aufbau- und Vorwettkampfphase. Für die Deaflympics war die Vorbereitung besonders intensiv, denn die Spiele fanden ausserhalb der eigentlichen Saison statt. Darum hätten sie ein Pre-Camp geplant, erklären sie.

Mit einer Crowdfunding-Kampagne sammelten sie 10´000 Franken für zwei Trainingslager und die Reise. «Wir konnten dadurch zwei Wochen früher nach Japan abfliegen. Das war ideal wegen der Zeitverschiebung und um uns voll auf den Sport konzentrieren zu können», sagt den Exter.


Die unsichtbare Behinderung

«Wir können normal sprechen, man hört nicht, dass wir eine Hörbehinderung haben», sagt Lenoir. Und seine Partnerin ergänzt: «Die Leute sind manchmal nicht so achtsam. Sie müssen uns anschauen und deutlich sprechen.» Dass sie normal sprechen würden, heisse nicht, dass sie auch gut hören könnten. Die Zahlen zeigen das Ausmass der Behinderung: Lenoir hat rechts ein Resthörvermögen von 8 Prozent, links 3 Prozent. Er trägt die stärksten Hörgeräte, die es gibt. Auch den Exter gilt als hochgradig schwerhörig: Rechts hört sie 6 Prozent, links 26 Prozent. «Mit dem Hörgerät wird es besser, aber es ist nicht so, dass wir wie Normalhörende hören», betont sie. Der Unterschied zwischen Hören und Verstehen sei entscheidend. «Ich muss manchmal sagen: Ja, ich habe dich gehört, aber nicht verstanden.»


Arbeit erfordert doppelte Energie

Seit 2022 lebt den Exter wegen der Beziehung in der Schweiz. Sie arbeitet als Physiotherapeutin. Etwa alle 30 Minuten komme ein neuer Patient und sie müsse gut zuhören können. «Anfänglich war die Sprache zusätzlich herausfordernd; für mich ist das Arbeiten viel strenger.» Sie erzählt von einem Gerät, das Hintergrundgeräusche filtert und die Worte des Patienten direkt auf ihr Hörgerät überträgt. «Muss sich ein Patient zum Beispiel auf den Bauch legen, dann kann ich seine Lippen ja nicht lesen.» Am Abend fehle die Energie manchmal fürs Training, aber meistens freue sie sich immer noch – schliesslich habe sie ein Ziel vor Augen.

Kim Lenoir arbeitet als Interaction Marketing Manager. «Seit Corona gibt es mehr Videoanrufe. Ich bin sehr auf das Lippenlesen angewiesen. Wenn die Leute schlecht auf der Webcam zu sehen sind oder die Qualität nicht ideal ist, wird es schwierig. Nur vom Hören verstehe ich praktisch nichts, trotz Hörgerät.» Meetings seien besonders herausfordernd. «Bei grossen Sitzungen, wenn viele sprechen, kriege ich höchstens von der Person neben mir etwas mit. Ich muss mich jeweils länger reinhören und aufpassen, dass ich nichts Wichtiges verpasse. Aber wenn ich nichts gehört habe, ist es auch schwierig, nachzufragen.»

Die Konzentration nehme am Nach­mittag oft ab, bestätigen beide. «Wir müssen den Mehraufwand selber kompensieren», sagt er. Sein Team helfe ihm, dafür sei er sehr dankbar. «Doch eigentlich ist diese Unterstützung laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Grundrecht.»


Der Blick nach vorne

Mit der abgelaufenen Saison sind beide zufrieden. Elaine den Exter hat ihre erste Deaflympics-Medaille, Kim Lenoir weiss, dass er mit der Weltelite mithalten kann. Bis zu den nächsten Deaflympics im Jahr 2029 stehen die EM und WM auf dem Programm, in der Halle und Freiluft. Das sei Motivation genug, um voll dran zu bleiben.

11.12.2025 :: Remo Reist (rrz)