Die Literatour brachte die Menschen aus dem Häuschen

Die Literatour brachte die Menschen aus dem Häuschen
Noemi Somalvico und Wilfried Meichtry lasen an der Literatour mit sechs anderen Künstlerinnen und Künstlern aus ihren Werken. / Bild: Christina Burghagen (cbs)
Langnau: Acht literarische Künstlerinnen und Künstler lasen bei der Langnauer Literatour vergangenes Wochenende an ebenso vielen Orten aus ihren Werken. Eine Stippvisite.

«Warst du bei Noée Heim? Die sprüht geradezu vor Energie», erzählt ein Herr im Publikum seinen Sitznachbarn. «Und dann das Duo Rubin und Briand. Das war fabelhaft. Tolle Gedichte und Gitarrenmusik», schwärmt er weiter. Acht Schriftstellerinnen und Schriftsteller hielten am vergangenen Wochenende Hof an acht Orten in Langnau und animierten Literatur-Interessierte, vor die Tür zu gehen.


Bibel, Schlager und Karl May

In der Regionalbibliothek liest Wilfried Meichtry und scheint ein Magnet zu sein, denn die Sitzplätze füllen sich bis auf den letzten. Meichtry stammt aus Leuk-Susten im Wallis und spricht verhalten auch so. Der 60-jährige Historiker hat sich als Autor und Filmemacher einen Namen gemacht und zahlreiche Preise abgeräumt. Seine bekanntesten Bücher sind «Verliebte Feinde», verfilmt 2013, und «Mani Matter. Eine Biografie». An der Langnauer Literatour liest und erzählt er aus seinem jüngsten Werk «Nach oben sinken», einem Roman mit stark autobiografischen Zügen. Das leise Lächeln, das er zeigt, scheint es auch in seinen Roman geschafft zu haben. Seine Kindheit im Wallis habe aus der Bibel, deutschen Schlagern und Karl May bestanden, erzählt er. Seine Mutter habe den Schlager geliebt und er fängt an «Ein Schiff wird kommen...» zu singen. Das Publikum zieht etwas textschwankend mit. Leider habe damals die Bibliothek nur den ersten Band von Karl May geführt. Um sich weitere Bände zu kaufen, benötigte er eine Geschäftsidee, die sich schnell fand. Er trug für einen Fünfliber an Beerdigungen Kränze. Pro Buch mussten also zwei Dorfbewohner sterben, denn es kostete knapp zehn Franken. Sei er mal krank gewesen, habe die geliebte Grossmutter ihn «gesund erzählt». Denn das war ihre absolute Stärke. Im Dorf habe es sich immer schnell herumgesprochen, wenn sie beispielsweise in der Bäckerei Witze erzählte. Dann liess jeder alles stehen und liegen, um das nicht zu verpassen. Es sind diese persönlichen Erinnerungen, von denen man nicht genug bekommen kann. Dementsprechend empfiehlt Meichtry: «Kaufen Sie das Buch.»


Herrlich eigensinnig

Die Berner Autorin Noemi Somalvico, die unlängst mit dem Clemens-Brentano-Preis geehrt wurde, sitzt im «Crossfit» im Bahnhofsgebäude auf einem Rudergerät. Die ungewöhnliche Sitzgelegenheit scheint zum Erzählstil der 1994 geborenen Autorin gut zu passen. Aus dem vielfach ausgezeichneten Buch «Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten» liest sie auf Wunsch ihrer Zuhörenden die Geschichte «Sieben Hengste», die von einem ersten Date mit Greg handelt. Auf der Wanderung in den Emmentaler Hügeln hört man ihr quasi beim Denken zu. Greg kramt eine verknautschte Klorolle hervor und sagt: «Ich geh mal Kacka.» Sie eröffnet innerlich eine Liste mit Dingen, die man beim Date nicht sagen sollte. Sätze wie «Mein Blick wirkt immer etwas neugieriger als ich» belegen den Tiefgang der herrlich eigensinnigen Autorin. Es bleibt etwas Zeit, um aus ihrem Buch «Ist hier das Jenseits, fragt Schwein» zu lesen. Biber hat Schwein verlassen. Jetzt isst Schwein Teigwaren und Beutelsalat allein. Dann ist die Zeit um. Schade.

13.11.2025 :: Christina Burghagen (cbs)