«Ich weiss nie, was mich erwartet»

«Ich weiss nie, was mich erwartet»
Nach jedem Einsatz muss Susanne Bürki die Ambulanz kontrollieren und das Equipment wieder ergänzen. / Bild: Regine Gerber (reg)
Langnau: Kein Tag ist planbar, kein Einsatz wie der andere im Berufsleben von Susanne Bürki. Seit 25 Jahren rückt sie als Rettungssanitäterin aus - so lange wie keine andere.

Wenn Susanne Bürki mit ihrem Team bei einem Notfall eintrifft, weiss sie meistens schnell, wie dringlich die Situation ist. «Es liegt etwas in der Luft, es kribbelt unter den Fingernägeln», beschreibt sie ihr Gefühl. Dass sie Notfallsituationen gut einschätzen kann, liegt an ihrer Erfahrung. Seit 25 Jahren arbeitet Susanne Bürki als Rettungssanitäterin HF am Spital Emmental beim heutigen Rettungsdienst Emmental-Oberaargau. Sie ist damit nicht nur die Dienstälteste im Team, sondern liegt auch weit über dem schweizerischen Durchschnitt. Statistisch gesehen arbeiten Rettungssanitäterinnen und -sanitäter sieben bis elf Jahre in ihrem Beruf, bevor sie umsatteln. «Die meisten haben es dann mal gesehen», erzählt Susanne Bürki. Anders die 48-Jährige aus Lauperswil. «Ich rücke immer noch mega gerne aus», berichtet sie, «mein Herz schlägt eindeutig für den Rettungsdienst.»


Unterschiedlichste Notsituationen

Dabei kam Susanne Bürki eher zufällig zu ihrem Beruf. «Ich wusste lange nicht, was ich werden wollte.» Irgendwann sagte sie sich: «Dann werde ich halt Krankenschwester.» Sie sammelte Erfahrungen auf einer geriatrischen Abteilung. «Ich mochte die Geschichten, welche die alten Menschen zu erzählen hatten.» Und doch merkte sie, dass sie nicht ganz am richtigen Ort war. Als der Rettungsdienst einen Ausbildungsplatz frei hatte, zögerte sie nicht. «Ich wusste, die Arbeit ist psychisch und physisch streng; diese Vorstellung gefiel mir.» Später absolvierte sie ein Nachdiplomstudium in Anästhesiepflege. Heute arbeitet sie jeweils zwei Wochen im Monat in diesem Bereich, die anderen zwei als Rettungssanitäterin. Susanne Bürki beschreibt ihre Faszination zur Tätigkeit als Rettungssanitäterin so: «Ich weiss nie, was mich an einem Tag erwartet. Ich treffe auf ganz unterschiedliche Menschen.» Und die Umstände seien immer anders. «Ich versorge jemanden in der Wohnung und zwei Stunden später bin ich im Wald oder in einem Stall unterwegs.» Man müsse flexibel reagieren und manchmal auch improvisieren. Es sind diese Fähigkeiten, welche die kommunikative Frau auszeichnen.


Gewaltbereitschaft und Bagatellfälle

Auch Susanne Bürki ist aber nicht vor einer gewissen Einsatzmüdigkeit gefeit, wie sie unumwunden zugibt. In den letzten 25 Jahren habe sich viel verändert. «Die Wertschätzung ist kleiner geworden», erzählt sie. Auch die zunehmende Gewaltbereitschaft ist längst nicht nur in Städten ein Thema, sondern beschäftigt auch den hiesigen Rettungsdienst. Sie erlebe vermehrt Situationen, in denen sie Bedrohungen ausgesetzt sei oder Übergriffe befürchten müsse. «Manchmal überlege ich, welchen Fluchtweg ich hätte.» Und noch etwas hat sich über die Jahre verändert: Sei der Rettungsdienst früher eher zu spät alarmiert worden, müsse man heute oft wegen Bagatellen ausrücken. Was macht die Rettungssanitäterin bei solchen Einsätzen? «Ich nehme jeden Fall ernst. Für denjenigen der anruft, ist es vielleicht wirklich der schlimmste Moment in seinem Leben.» Schrecklich sei aber, wenn die Rettungsteams wegen solcher Fälle später bei wirklich dringenden Notsituationen eintreffen würden.


12-Stunden-Schichten

Wenn Susanne Bürki durch das Emmental fährt, wecken viele Orte Erinnerungen an frühere Einsätze. Eine Kurve etwa, die bei ihr wegen eines schweren Verkehrsunfalls immer noch sehr präsent ist. «Einige Dinge, die ich gesehen habe, möchte ich lieber nicht noch einmal erleben», sagt sie, aber die schöne Erinnerungen würden überwiegen. Etwa die erste Hausgeburt, bei der sie dabei war. Die Arbeitstage und -nächte sind lang: Zwölf Stunden dauern die Schichten jeweils. Kehrt die Rettungssanitäterin von einem Einsatz zurück, muss das Fahrzeug kontrolliert und Equipment und Medikamente wieder ergänzt werden, so dass alles für den nächsten Einsatz bereit ist. Auch das Putzen gehört zum Dienst. Das Ende einer Schicht kann sich immer mal wieder nach hinten verschieben.


Abschalten und Kraft tranken

Umso wichtiger ist das Abschalten. Bürki hat gelernt, sich bewusst zu sagen: «Jetzt habe ich frei.» Und doch gäbe es sie immer wieder, Situationen, die ihr nachhängen. Als «Chläbi a dä Schueh», beschreibt sie es. Was dann hilft: In der Musikgesellschaft Klarinette spielen. Oder in die Berge gehen. «Es gibt für mich nichts Schöneres, als frühmorgens auf einem Grat oder Gipfel zu stehen und den Sonnenaufgang zu bestauen.» Dieses positive Gefühl versucht sie dann in den nächsten Einsatz zu tragen, um wieder ihr Bestes geben zu können. Aber die Rettungssanitäterin sagt auch: «Wie es schliesslich herauskommt, das liegt meistens nur beschränkt in unserer Hand.»

25.09.2025 :: Regine Gerber (reg)