«Es ist mehr möglich, als man denkt»

«Es ist mehr möglich, als man denkt»
Timo Felder erzählt aus seinem Leben, von Schicksalsschlägen und Leidenschaft. / Bild: Beatrice Keck (keb)
Schüpfheim: Timo Felder teilte Erfahrungen aus einem «Leben mit Assistenz». Über 200 Interessierte wurden mit einem eindrücklichen und lehrreichen Referat beschenkt.

«Gibt es etwas in Ihrem Leben, das Sie mit viel Hingabe und Leidenschaft ausüben?» Mit dieser Frage an sein Publikum eröffnete der 35-jährige Timo Felder sein Referat. Felder kam im Jahr 1990 zur Welt. Sein erstes Lebensjahr sei unauffällig verlaufen. Erst nach und nach zeigte sich, dass er sich motorisch schwerfälliger entwickelte als Gleichaltrige. Die medizinischen Abklärungen ergaben schliesslich die Diagnose Spinale Muskelatrophie Typ II. Dabei handelt es sich um eine neuromuskuläre Erbkrankheit, welche die motorischen Nervenzellen betrifft und zu Muskelschwäche führt. «Mit Medikamenten sollte ein weiteres Nervenabsterben verhindert werden», meint Felder lakonisch. Er sitzt heute in einem elektrischen Rollstuhl, sein Kopf wird von einer Stütze gehalten.


«Ich kannte gar nichts anderes»

Felder wuchs in Schüpfheim auf, wo er auch den öffentlichen Kindergarten besuchte. «Da meine Behinderung so früh ausbrach, kannte ich nichts anderes und fühlte mich eigentlich gar nicht behindert», führt er aus und ergänzt: «Im öffentlichen Kindergarten stritten sich manchmal meine Gspänli regelrecht darum, wer mich im Rollstuhl herumschieben durfte.» Mit Eintritt in die Schule fand diese Unbeschwertheit aber ein Ende. Er wurde in eine Sonderschule für Menschen mit Behinderung eingeschult. Nicht etwa, weil er intelligenzmässig der Regelschule nicht gewachsen gewesen wäre; die Regelschule konnte seine Bedürfnisse, was die körperliche Unterstützung betraf, nicht abdecken. «Im Internat war ich weg von Zuhause, weg von Schüpfheim, und hatte oft Heimweh.» Hier absolvierte er seine gesamte Schulzeit sowie anschliessend seine Bürofachschule. «Diese Jahre waren manchmal herausfordernd. Es gab viele enge Strukturen mit unflexiblen zeitlichen Vorgaben», blickt Felder zurück. Immer stärker sei sein Wunsch nach einem selbständigen Leben ausserhalb einer Institution geworden. Da sei aber «der nächste Hammer» gekommen; 2013 musste ihm wegen eines bösartigen Tumors der rechte Arm, mit dem er bisher Rollstuhl und Laptop bedient hatte, amputiert werden.


Sein Ziel realisiert

Timo Felder wäre nicht Timo Felder, hätte er sich durch diesen weiteren Schicksalsschlag stoppen lassen. Mit seinem unbändigen Willen und einer kaum vorstellbaren Kraft - einer riesigen Leidenschaft eben - überwand er sämtliche Schwierigkeiten und realisierte sein Ziel eines eigenständigen Lebens in einer eigenen Wohnung. Seit nunmehr zehn Jahren lebt er in seinen eigenen vier Wänden. Unterstützt wird er dabei von momentan 15 Assistenzpersonen. «Ich führe ein KMU», erläuterte er, «ich wähle neue Mitarbeitende aus, führe sie in ihre Arbeit ein, mache sämtliche anfallenden Büroarbeiten wie Behördengänge oder Rechnungen stellen. Die Assistenzpersonen sind dabei meine Hände und Füsse, ich bin der Kopf.» Seinen Rollstuhl und den PC bedient er mit einem Unterlippen-Joystick. «Heute kann ich ein Leben führen, das Lust auf mehr macht.» Und nun zurück zum Anfang: Was verfolgen Sie mit viel Hingabe und Leidenschaft?

11.09.2025 :: Beatrice Keck (keb)