Ein farbiger Punkt kennzeichnet die Königin. Jedes Jahr wird eine andere Farbe verwendet. Diese hier trägt Königsblau. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Königlich (5/6): Sie hat einen riesigen Hofstaat und ist das Herzstück ihres Volkes, trotzdem ist ihre Macht begrenzt – die Bienenkönigin. Imker Heinrich Leuenberger kennt ihr Leben von der ersten bis zur letzten Minute. Er ist ein Königinnenmacher.
Heinrich Leuenberger hebt den Deckel des Kastens ab und zieht eine Wabe heraus. Unzählige Honigbienen wuseln darauf herum. Ab und zu fällt einem ein Individuum besonders auf; es trägt einen blauen Punkt auf dem Rücken und ist etwas grösser als die anderen. Die Bienenkönigin. «Sie ist noch jung», sagt der Imker. In jedem der kleinen blauen Kästen an einem Waldrand in Weier lebt eine solche frisch gekrönte Königin mit ihrem Völkchen.
Seit 60 Jahren ist «Beiele» Leuenbergers Leidenschaft, vor 45 Jahren hat er mit der Zucht von Königinnen begonnen. So hat er sich ein immenses Wissen angeeignet, das er viele Jahre auch in Kursen weitergegeben hat. Lange führte er zudem die Belegstation in Wasen; dort leben die Drohnen, die männlichen Bienen. Heute betreibt der 70-Jährige sein Hobby vor allem noch für sich. Arbeit hat er mit seinen 70 Völkern und der Königinnenzucht mehr als genug. Das Ziel sei es, die schlechten Eigenschaften zu eliminieren und die guten weiterzugeben, erklärt Leuenberger. Beispielsweise, dass die Insekten friedfertig sind, wiederstandsfähig gegen Krankheiten und – seit einigen Jahren besonders im Fokus – gegen die Varroamilbe. Trotz jahrelanger Erfahrung und gezielter Arbeit sei der Einfluss des Menschen aber begrenzt, gibt der Imker zu bedenken. Denn bei Bienen verhält es sich anders als beispielsweise bei Rindern, wo man die gewünschten Eigenschaften des Nachwuchses aus dem Katalog auswählen kann.
Ein Flug mit Folgen
Eine Bienenkönigin feiert ihre Hochzeit pompös, schliesslich ist es zeitlebens ihre einzige Möglichkeit, sich zu paaren. Auf dem Hochzeitsflug wird sie von hunderten Drohnen begleitet. Die Begattung erfordert akrobatisches Geschick, erfolgt sie doch im Flug. Die Königin nimmt dabei Sperma von bis zu 20 Männchen auf. Für diese ist die Freude kurz; ihr Geschlechtsorgan reisst ab und sie sterben. Aus Sicht des Volkes aber hat sich der Einsatz gelohnt, wie Heinrich Leuenberger erklärt. «Weil die Königin Spermapakete mehrerer Drohnen aufnimmt, gibt sie von männlicher Seite unterschiedliche Gene weiter. Diese Vielfalt ist wichtig für die Zukunft und das Weiterbestehen des Volkes.»
Zurück im Bienenstock macht sich die Königin sogleich ans Werk – und das ist eintönig. Sie legt Eier. Viele Eier. Bis zu 2000 pro Tag. Sie legt fürs Überleben des Staates, aber auch zu ihrem eigenen Wohl. Denn allein dem Volk gehört die Macht. Die Königin wird zwar gehegt, gepflegt und gefüttert, aber die Leistung muss stimmen. «Sobald die Bienen merken, dass nicht mehr ausreichend Eier gelegt werden, beginnen sie, eine junge Königin aufzuziehen», erklärt Leuenberger. Nach der Begattung übernimmt diese die Funktion der Herrscherin, die alte wird entfernt. Noch ein weiteres Indiz zeigt den Arbeiterinnen, dass die Zeit für einen Umsturz gekommen ist. «Die Königin gibt einen Duftstoff ab, das sogenannte Pheromon. Dieser hält das Volk zusammen. Je älter die Königin, desto weniger Duftstoff sondert sie ab.» Dann hat sie ihren Dienst getan. Immerhin: Die Königin lebt mit bis zu fünf Jahren deutlich länger als die Arbeiterinnen, so Leuenberger. Sommerbienen würden nur drei bis sechs Wochen alt, Winterbienen drei bis sechs Monate.
Königlicher Saft
«Das ganze Zusammenspiel und was alles stimmen muss, damit ein Honigbienenvolk funktioniert, finde ich nach wie vor faszinierend», sagt der Imker aus Weier. Als Züchter sei er den Gesetzmässigkeiten unterworfen, könne aber trotzdem Einfluss nehmen. Alles beginnt in der Kinderstube mit den Larven. Diese schlüpfen am vierten Tag nach der Eiablage. Heinrich Leuenberger setzt jede Made in einen Minibecher. Ein Rahmen mit mehreren Bechern kommt nun ins Pflegevolk. «Diesem nehme ich zuvor die Königin weg. Nur wenn sie fehlt, füttern die Bienen die Larven mit einem speziellen Saft, damit sie sich nicht zu Arbeiterinnen, sondern zu Königinnen entwickeln», erklärt er. Standesgemäss heisst dieses Futter Gelée Royale. Nach fünf Tagen werden die Zellen in der Wabe verschlossen. Nun muss der Imker wieder eingreifen, sonst kommt es zum Mord. Die erstgeschlüpfte Königin kennt nämlich kein Pardon und tötet ihre Konkurentinnen umgehend. «Ich stülpe deshalb über jede Zelle einen Schutzkäfig, so überleben mehrere Tiere.» Jede Königin kommt nun mit einem Joghurtbecher voller Bienen in einen kleinen Kasten. Drei Tage müssen sie in Dunkelhaft verbringen. «Auf diese Weise werden sie zu einem Minivolk», sagt Leuenberger, der schon über 1000 Bienenköniginnen gezüchtet hat. Danach geht es ab zu einer Belegstation, wo die Drohnen warten. Die junge Königin begibt sich auf den Hochzeitsflug und ist anschliessend bereit für ihr Lebenswerk in einem grossen Volk. Damit der menschgemachte Umsturz gelingt, wird die alte Königin zuerst dem Volk entnommen und die junge, geschützt in einem Kästchen, eingesetzt. Dieses ist mit einem Futterteig verschlossen. «So können sich die Bienen an die neue Königin gewöhnen und ihren Duft aufnehmen. Ist der Futterteig weggefressen, verlässt sie den Kasten und wird meistens akzeptiert», erklärt der Züchter. Trotz aller Tricks, eine Garantie, dass dies gelingt, habe man nie. Denn allein das Volk entscheidet.