Der König im Wurzelstock

Der König im Wurzelstock
Nur wenige Sekunden verharrt die Zaunkönigin auf einem Ast, bevor sie beim Nest im Wurzelstock verschwindet. / Bild: hol
Königlich (3/6): Er ist klein, schnell, sehr laut und lebt im Wald, in Hecken und Parkanlagen. Man hört ihn oft und sieht ihn kaum – den Zaunkönig.

Der Zaunkönig gehört mit ungefähr 10 Zentimetern Länge und einem Gewicht von wenigen Gramm zu den kleinsten Vogelarten Europas. Seine bevorzugten Lebensräume sind naturbelassene Wälder und Hecken. Im Winter ist er gelegentlich auch in Gärten und Parkanlagen mit Mauern und Efeubehang zu sehen. Einen Zaunkönig in der freien Natur zu sehen ist keine Seltenheit, aber für die meisten von uns doch eher zufällig und unbewusst. Es sei denn, er oder sie gehört zu den Menschen, welche sich mit der Natur und unseren einheimischen Vogelarten eingehend auseinandersetzen und mit deren Aussehen, Gesang und Lebensweise vertraut sind. Zu ihnen gehört auch Martin Leuenberger, Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Wasen (siehe Kasten). Seit seiner Kindheit befasst er sich mit der Vogelwelt und gilt schweizweit als kompetenter Ornithologe. Mit seiner jahrelangen Erfahrung will er versuchen, eine Begegnung mit dem kleinen König des Waldes zu ermöglichen.


Im Reich des Königs

Ich treffe mich mit Martin Leuenberger auf der Lüderenalp, in einem typischen Lebensraum des Zaunkönigs mit halb vermoderten Asthaufen, umgestürzten Bäumen und einem dichten Unterholz mit Sträuchern und Kraut. Mit Fernglas, Kamera und dem geschulten Gehör des Ornithologen halten wir Ausschau nach dem kleinen König. Deutlich können wir seinen Gesang in unmittelbarer Nähe hören, aber zu Gesicht bekommen wir ihn nicht. «Auf meinen Exkursionen höre ich den Zaunkönig ungefähr tausendmal öfter als dass ich ihn sehe», betont Martin Leuenberger. In Asthaufen und im Unterholz sei er zuhause, dazu so schnell wie eine Maus und dauernd in Bewegung. In den belaubten Sträuchern und dem hohen Farn sei er in den Sommermonaten ausserdem nur schwer, und dann auch nur ganz kurz zu sehen, gibt er zu bedenken.So ergeht es uns auch heute. Wenn der Winzling ausnahmsweise mal hochfliegt, ist er in Sekundenschnelle im nächsten Gebüsch verschwunden. Sein unüberhörbarer Balzruf gibt uns aber die Gewissheit, dass wir uns mitten im Reich des Zaunkönigs befinden. «Er ist wohl sehr klein, hat aber eine der lautesten Vogelstimmen im Wald», meint Leuenberger. Mit einer Lautstärke bis zu neunzig Dezibel könne er leicht mit dem Lärm eines Presslufthammers mithalten. Trotz geduldigem Horchen und Spähen bleibt uns bis jetzt ein längerer Anblick des Königs verwehrt. Die gefundenen Nester lassen uns aber hoffen, ihm an einer seiner Brutstätten doch noch zu begegnen.


Freie Nestwahl für die Königin

«Beim Nestbau zeigt sich der Zaunkönig als wahrer Baumeister», erklärt Leuenberger. Für seine Zukünftige baue er gleich mehrere kugelförmige Nester im Rohbau aus Zweigen, Moos und Blättern. Meistens wären seine Bauplätze in vermoderten Asthaufen und Wurzelstöcken zu finden. Gelegentlich lasse er bei der Standortwahl seiner Fantasie auch mal freien Lauf. «So wurden schon Nester in Briefkästen, leeren Blumentöpfen, alten Arbeitskleidern oder wie in unserem Fall unter der Radabdeckung eines abgestellten Fahrzeuganhängers gefunden» ergänzt er. War der König mit seinem Balzgesang erfolgreich und hat seine Zaunkönigin gefunden, lässt er sie auf einer Besichtigungstour das gewünschte Nest aussuchen, welches sie mit Federn und Moos fertig ausbaut. Die anderen Nester werden nicht mehr verwendet und verrotten. Damit endet aber auch schon die Partnerschaft der Familie Zaunkönig. Die zwanzig bis dreissig Tage dauernde Brut und Aufzucht der jungen Vögelchen übernimmt vorwiegend die Zaunkönigin allein.


Gut getarnt im Wurzelstock

Mit der Erfahrung eines Ornithologen entdeckt Leuenberger schlussendlich doch noch eine frische Brut des gesuchten Königs. Gut geschützt in einem Wurzelstock im dichten Unterholz hat er das Nest für seine Zaunkönigin gebaut. Mit der nötigen Vorsicht und Ausdauer dürfen wir beobachten, wie der kleine Vogel in schnellen und überraschenden Anflügen auf das Versteck den königlichen Nachwuchs mit Insekten und Käfern versorgt, während der Herr König das Revier bewacht und gleichzeitig versucht, mit seinem schmetternden Gesang neue Weibchen zu beeindrucken.

Regionaler Schutzverein

Der Natur- und Vogelschutzverein Wasen und Umgebung wurde 1993 gegründet. Sinn und Zweck des Vereins ist es, im Rahmen des allgemeinen Naturschutzes das Verständnis für die Vögel zu wecken und ihren Schutz durch Aufwerten der Lebensräume zu fördern. Die rund 30 Aktivmitglieder betreuen über 1000 Nistkästen für verschiedene Vogelarten, beteiligen sich an Artenförderungsprojekten und Umwelttagen mit Schulklassen und machen alljährlich anfangs Oktober am Euro Birdwatch – dem Zugvogeltag – mit. Der Verein setzt sich für die Förderung der Mauer- und Alpensegler sowie der Schwalben ein und ist bekannt für die Herstellung von Kunstnestern für diese Vogelarten.

24.07.2025 :: hol