Zwei Könige stehen sich mit ihren Heeren gegenüber. / Bild: zvg
Königlich (1/6): Die Faszination für Schach ist heute lebendiger denn je. Das königliche Spiel
ist immer im Brennpunkt seiner Zeit gestanden, wie die Geschichte zeigt.
Die alten Ägypter und die Griechen und Römer haben das Spiel noch nicht gekannt, weil Schach «erst» 500 nach Christus erfunden worden ist. Im Nordwesten Indiens, von wo das Spiel stammt, haben kriegerische Zeiten geherrscht, die das Spiel prägten. Zwei Könige stehen mit ihren Heeren einander gegenüber. Die vier Figuren Bauer, Springer, Läufer und Turm repräsentieren das Heer, das damals aus Infanterie, Kavallerie, Elefanten und Kampfwagen bestand. Sie beschützen ihren König, der die wichtigste, aber zugleich schwächste Figur ist. Der Berater, die spätere Dame, konnte sich wie der König nur feldweise fortbewegen. Deswegen müssen die Krieger agieren und versuchen, den gegnerischen König schachmatt zu setzen, das heisst, ihn so in die Enge zu treiben, dass er keinen Zug mehr machen kann, ohne geschlagen zu werden. Der Name Schach leitet sich vom Sanskrit-Wort «Tschaturanga» ab, was vier Teile heisst und Heer bedeutet.
Aus dem Berater wird die Dame
Von Indien verbreitet sich das Spiel in alle Himmelsrichtungen, auch ins Nachbarland Persien. Im 7. Jahrhundert erobern die Araber nicht nur das persische Reich, sondern auch den Nahen Osten, Nordafrika und die Iberische Halbinsel. Die Araber sind wissbegierig. Sie übersetzen indische, persische, griechische und römische Schriften ins Arabische und entdecken das Schachspiel. Sie loben die grosse Freiheit des Spiels im Unterschied zu den vom Zufall abhängigen Würfelspielen. Sie behandeln Schach wie eine Wissenschaft, analysieren die Partien und verfassen Lehrbücher.
Eines der berühmtesten arabischen Schachprobleme ist das «Matt des Abu-Naam» (siehe Abbildung unten).
In Spanien, wo die Araber fast 800 Jahre lang bleiben, findet eine einzigartige Vermischung zwischen Orient und Okzident statt. Arabische Lehrbücher werden ins Lateinische übertragen, und auch das Schachspiel findet Anklang. 1283 kommt eine erste mittelalterliche Zusammenstellung mit 150 arabischen Schachproblemen heraus. Darunter das «Matt des Abu-Naam». Um 1500, im Zuge der Renaissance, erfährt das Spiel eine rasante Beschleunigung. Aus dem Berater wird die mächtigste Figur: die Dame, die sich von nun an in den Gangarten des Läufers und des Turms fortbewegen kann.
Die Partie des Jahrhunderts
Von Spanien breitet sich das Spiel in ganz Europa aus und sorgt immer wieder für Staunen und Begeisterung. Im 20. Jahrhundert ist die Sowjetunion im Schachspiel führend. Das Land bringt zahlreiche Schachweltmeister hervor, unter anderem weil es das Spiel staatlich fördert und über ein riesiges Reservoir an interessierten Jugendlichen verfügt. 1972 blickt die ganze Welt nach Reykjavik, wo mitten im Kalten Krieg der Amerikaner Bobby Fischer gegen den russischen Schachweltmeister Boris Spasskij antritt. Der Amerikaner gewinnt und knackt die sowjetische Vorherrschaft vorübergehend, bevor die beiden Russen Anatoli Karpov und Garri Kasparow die Schachkrone für viele Jahre wieder übernehmen. Heute zählen Indien und China zu den stärksten Schachnationen. 1997 ist Schach wieder in aller Munde. Der Computer Deep Blue spielt gegen Garri Kasparow und gewinnt. Es ist die erste Niederlage eines Weltmeisters gegen einen Schachcomputer. Im 21. Jahrhundert wird Schach etwas weiblicher. Die Netflix-Serie «Queen´s Gambit» über ein Waisenmädchen, das ein Schachgenie wird, trägt dazu bei. Während der Pandemie haben zudem viele Menschen das riesige Schach-Angebot im Internet entdeckt. «Uralt und doch ewig neu», umschreibt Stefan Zweig das königliche Spiel. Millionen von Schachspielerinnen und -spielern werden ihm zustimmen.