Annemarie Graf-Joss (links) und Johanna Schöni blicken 75 Jahre zurück. Das tragische Ereignis lässt sie bis heute nicht los. / Bild: Laura Fehlmann (lfc)
Emmental: In der Nacht auf den 24. Juli 1950 stürzten zwei Männer aus dem Emmental im Berninagebiet in den Tod. Sie wurden nie gefunden. Die Angehörigen geben jedoch nicht ganz auf.
1950. Am frühen Morgen des 24. Juli verliessen neun Personen – eine Dreier- und drei Zweierseilschaften –die Tschervahütte im Berninagebiet. Anfangs war das Wetter gut. An der höchsten Stelle des Biancogrates wurden die Männer jedoch von einem orkanartigen Wind überrascht. Die Bergsteiger hielten an. Die zweite Zweierseilschaft verlor einen Moment das Gleichgewicht, rutschte zur nachfolgenden Gruppe, welche die beiden Männer einen Augenblick halten konnte. Durch den Seilzug wurden sie jedoch in die Tiefe gerissen, stürzten vorerst etwa 80 Meter weiter unten auf einen Schnee- und Eishang, bevor sie vor den Augen ihrer Kameraden auf einem Felsen aufprallten und etwa 700 Meter hinunterstürzten. Hans Joss und Albert Schöni, beides erfahrene Bergsteiger der ehemaligen Subsektion Hasle-Rüegsau (heute Brandis) des SAC Burgdorf, starben. So berichteten damals verschiedene Zeitungen. «Die lieben Bergkameraden ruhen nun in einem Gletschergrab», schloss ein Bericht. Gefunden worden seien nur die Rucksäcke, ein Pickel und eine Schneebrille.
75 Jahre sind vergangen
2025. Annemarie Graf-Joss und Johanna Schöni sitzen am Wohnzimmertisch, auf dem sich Papiere und alte Fotos türmen. Graf-Joss ist die einzige Tochter von Hans Joss. Sie war fünfjährig, als ihr Vater nicht mehr aus den Bergen heimkehrte. Schöni ist die Nichte von Albert Schöni, beim Unglück damals erst zwei Jahre alt. Sie führte bis vor ein paar Jahren Schönis Eisenwarenhandlung in Lützelflüh. Die Eltern von Annemarie Graf-Joss wirteten im Restaurant Bahnhof in Grünenmatt und führten nebenbei einen Landwirtschaftsbetrieb.
Auf der Suche nach Antworten
Heute sind die beiden Frauen um die 80, die wenigen Erinnerungen an den Vater beziehungsweise den Onkel verblasst. Das Bergunglück ist 75 Jahre her. Trotzdem ist da noch Hoffnung. «Vor zehn Jahren, als sich der Gletscher stark zurückgezogen hat, erwachte in mir die Hoffnung, dass man den Vater vielleicht doch noch findet», sagt Graf-Joss. Schöni nickt. Beide bedauern, dass ihre Erinnerungen nur karg und blass sind. Trotzdem unternahm Annemarie Graf-Joss Wanderungen in das Gebiet ob Pon-tresina, wo sich das Unglück ereignete. Leider wurden dabei viele Fragen, die sie sich stellte, nicht beantwortet. «Ich war noch sehr klein und habe meiner Mutter kaum Fragen gestellt», bedauert Annemarie Graf-Joss. Johanna Schöni, die zum Zeitpunkt des Unfalls erst zweijährig war, weiss noch weniger. Die Hinterbliebenen hätten wenig über das Ereignis geredet. Annemarie Graf-Joss liest den Zeitungsbericht laut vor, den sie schon unzählige Male gelesen hat und auswendig kann. Es ist, als ob sie zwischen den Zeilen nach Erklärungen suchen würde, um mit dem Tod ihres Vaters, der sie manchmal auf dem Velo mitgenommen hatte, abzuschliessen.