Darüber zu sprechen, kann Leben retten

Darüber zu sprechen, kann Leben retten
Auch wenn es schwer fällt: Wenn man bei jemandem Suizidgedanken vermutet, soll man dies ansprechen. / Bild: Shutterstock
Langnau: Jeden Tag sterben in der Schweiz zwei bis drei Menschen durch Suizid. An einem Vortrag im Spital Emmental wurde über Warnzeichen und Prävention gesprochen.

Eine positive Nachricht vorweg: Die Suizidrate in der Schweiz nimmt ab. 1998 nahmen sich auf 100'000 Einwohnerinnen und Einwohner 20,9 das Leben. Die gleiche Rate betrug 2023 11,3. Dies zeigt ein Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums, der im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit erstellt wurde. Florian Weiss, seit einem halben Jahr Leitender Arzt Psychiatrie am Spital Emmental, konkretisierte an einem Publikumsvortrag in Langnau diese Zahlen: «2023 sind in der Schweiz 995 Personen an Suizid gestorben, das heisst, zwischen zwei bis drei pro Tag. Davon waren 721 Männer und 274 Frauen.» Männer sind demnach deutlich häufiger betroffen als Frauen. Dieser Geschlechterunterschied besteht seit Jahrzenten. Florian Weiss führte verschiedene Gründe dafür an: Männer wählten häufiger härtere Methoden als Frauen und ihre Versuche führten deshalb häufiger zum Tod. Zudem treffe das Klischee zu, dass sich Männer in psychischen Notsituationen weniger oft Hilfe suchten als Frauen. Letzteres wird durch die Zahlen verdeutlicht, die zeigen, dass Suizidgedanken bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig verbreitet sind.


Prävention verstärkt

Was hat dazu geführt, dass sich heute weniger Menschen das Leben nehmen als vor 25 Jahren? Florian Weiss betonte, dass eine Entstigmatisierung des Themas zu mehr Hilfsangeboten führe. Weiter sei die Prävention verstärkt worden. «Dazu gehört auch die Einschränkung von Suizidmethoden.» Was meint er damit konkret? Ein Beispiel seien bauliche Massnahmen wie Netze bei Brücken oder Absperrungen bei Gleisen. Was zunächst banal klingt, sei höchst effektiv, führte der Experte aus. Suizide würden viel häufiger impulsiv aus einer Ausnahmesituation heraus geschehen, als dass sie von langer Hand geplant würden. Betroffene befänden sich wie in einem Film oder Tunnel. «Eine Hürde wie ein Netz kann ausreichen, um aus dem Film aufzuwachen.» Damit sind die zugrundeliegenden Probleme nicht gelöst. Suizidale Krisen würden vorübergehen, aber 90 Prozent der Betroffenen hätten eine psychische Erkrankung wie Depression, Schizophrenie oder ein Suchtproblem, erklärte Florian Weiss. Aber: «Diese Krankheiten können in der Regel behandelt werden.»


Warnsignale ernst nehmen

Um Betroffenen helfen zu können, ist es wichtig, dass Angehörige oder Personen im Umfeld Warnsignale erkennen. Dazu gehörten der Rückzug von Freunden und gewohnten Aktivitäten, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung bis hin zum Äussern von konkreten Suizidgedanken. Wenn man vermutet, jemand könnte darüber nachdenken, empfiehlt Florian Weiss, dies offen anzusprechen. «Es stimmt nicht, dass Menschen sich erst recht etwas antun, wenn man mit ihnen darüber spricht.» Im Gegenteil: Betroffene empfänden meist Erleichterung, wenn das Thema zur Sprache komme.


Grosser Leidensdruck

Trotz Fakten und Empfehlungen wurde in der Publikumsdiskussion deutlich, wie komplex und facettenreich das Thema ist. Ein Mann wies darauf hin, dass die Suizidrate vielleicht gesunken sei, der assistierte Suizid (mit Sterbehilfeorganisationen wie Exit) aber zugenommen habe. Andere Themen waren Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen, Prävention, die schon im Kindesalter beginnen sollte oder Wartezeiten in der Psychiatrie. 

Einig war man sich, dass Suizidalität mit grossem Leidensdruck verbunden ist und darüber gesprochen werden muss. Dies war auch das Hauptanliegen von Florian Weiss. «Es ist ein Mythos, dass man Suizid sowieso nicht verhindern kann», sagte er. Darüber zu sprechen sei häufig der erste Schritt, dass sich Betroffene Hilfe suchen - und könne somit Leben retten.

Suizidgedanken? Holen Sie sich Hilfe!

Es gibt verschiedene Stellen, an die sich Menschen in suizidalen Krisensituationen wenden können. 

  • Die Dargebotene Hand: Telefon 143, www.143.ch Telefon 143, www.143.ch
  • Pro Juventute Beratung und Hilfe für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, www.147.ch
  • Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
  • Angehörigenberatungsstellen Psychiatrie: www.angehoerige.ch
  • Für Hinterbliebene: www.trauernetz.ch
  • Notfallstationen von Spitälern
  • Allgemeiner Notruf/Polizei: Telefon 112
  • Ambulanz/Sanität: Telefon 144

22.05.2025 :: Regine Gerber (reg)