Das beten wir in der Kirche und auf dem Friedhof so vor uns hin, mehr oder weniger überzeugt, etwa wie die Nationalmannschaft vor dem Spiel den Schweizerpsalm. Dabei steckt eigentlich Revolutionäres drin. Jesus nannte Gott «Papa». Alle anderen seiner Zeit nannten ihn «Herr» oder «König», dachten dabei also an eine Person, der man Gehorsam schuldet, sonst gibt´s Strafe. Wahrscheinlich waren zu seiner Zeit Väter noch autoritärer als heute, aber da ist doch ein Unterschied: Der Vater hilft dem Kind, wenn es darum bittet, er nimmt es in die Arme, wenn es wieder nach Hause kommt. Genau, vom Vater kann man auch weggehen, wie es der jüngere Sohn im Gleichnis machte. Gegen Väter kann man sich auflehnen, pubertieren, sich mit ihnen streiten und wieder versöhnen (mit Müttern übrigens auch). Und das Schönste: Kein Vater kann ein Kind machen (auch keine Mutter kann das). Kinder kann man nur zeugen, aber wie sie werden und sich entwickeln, das hat man nicht in der Hand. Man kann sie nur annehmen, wie sie sind und liebhaben (und sich manchmal auch über sie nerven). Wenn wir beten: «Unser Vater», reden wir also sehr menschlich. Man kennt sich ja meist sehr gut. Und das gibt Vertrauen. Väter können zwar vieles, aber sie sind nicht allmächtig. Man kann einen guten Rat auch nicht befolgen, muss vielleicht sogar einen anderen Weg einschlagen, muss mit eigenen Steinen weiterbauen auf dem gelegten Fundament. All das hat Platz im Vaterbild. Aber was man auch über seinen Vater denkt, man kann ihn nicht verlieren, denn man trägt seinen genetischen Abdruck. Auch ein vaterloses Kind wüsste allzu gern, wer sein Vater ist – und hat bei uns das Recht, das zu erfahren. Wir tragen Gott in uns, das können wir nicht verleugnen. Und auch wenn wir in manchen Dingen nicht mit ihm einverstanden sind, es ist gut, wenn wir uns am Schluss mit ihm versöhnen - wie mit einem Vater auch.