Es dürfte manchmal auch in den Wirtshäusern der Region Sumiswald ähnlich hoch zu- und hergegangen sein wie auf dem Gemälde von Johann Baptist Wengler. / Bild: zvg
Sumiswald: Christian von Graffenried, der Sohn des gleichnamigen Landvogts, lebte nur während sechs Jahren in Sumiswald (von 1734 bis 1740). In dieser Zeit hat er aber einiges erlebt.
Es war für Christian von Graffenried sicher kein Nachteil, Sohn des Landvogts zu sein. Er konnte sich etwas mehr erlauben als andere und, er war «jemand» – schon alleine des Namens wegen. Hinzu kommt: Er war mit 25 Jahren im besten Alter, als sein Va-ter, der ebenfalls Christian von Graffenried hiess, 1734 Landvogt von Sumiswald wurde.
Bereits ein Jahr später tauchte der Junior des Landvogt ein erstes Mal in den Protokollen des Chorgerichts auf. Vor das Gericht zitiert wurde zwar nicht er, sondern «Anna Büchsel», die Tochter des Wirts in Wasen. Der Vorwurf: «dantzen» und «kilten». Sie gab vor Gericht freimütig zu, getanzt zu haben, und zwar mit dem Sohn des Landvogts. Dieser war wohl einem Tänzchen generell nicht abgeneigt. So erklärte beispielsweise die Wirtin des Tannenbads, als sie wegen illegalen Tanzens vor Gericht zitiert wurde, dass der «Sohn im Schloss» gesagt habe, «er wolle guet darfür sein».
«Er habe ihr die Ehe versprochen»
Eine junge Dame hatte es Christian von Graffenried besonders angetan: Rosina Haslibacher. Der «Graffenrieder» habe die damals 17-jährige Tochter abholen lassen, steht im Protokoll der Chorgerichtssitzung vom Juli 1740. Diese sei die ganze Nacht im Wirtshaus zu Trachselwald gewesen. Die junge Frau musste wegen ihrer nächtlichen Ausflüge eine Busse von einem Pfund zahlen, was heute in etwa 50 Franken entspricht. Über die genaue Herkunft der jungen Frau ist wenig bekannt; ihr Vater hiess Hans Haslibacher (in diesem Zeitraum lebten vier mit diesem Namen in Sumiswald) und die Mutter Christina Äntzi. Wo die Familie genau lebte, ist nicht überliefert.
Im Oktober 1740 gelangte Rosina Haslibacher dann als Klägerin vor das Chorgericht: Der Sohn des Landvogts habe sie, zwar ohne dass sie schwanger sei, «beschlafen» und ihr die Ehe versprochen. Das Chorgericht solle ihr zu ihrem (Ehe-)Recht verhelfen. Sie fügte an, dass es für das Eheversprechen Zeugen gebe. Das Chorgericht wollte die Sache untersuchen und Graffenried junior, der zu dieser Zeit bei Pfarrer Küntz in Affoltern weilte, Bescheid geben. Im Verhör gab er unumwunden zu, mehrfach mit Rosina Haslibacher geschlafen zu haben, «aber nicht auf die Ehe hin». Die Chorrichter brummten Graffenried für sein Verhalten eine Busse von 3 mal 3 Pfund auf und in einem anderen Handel noch einmal 2 Pfund wegen seines «ärgerlichen Leben, Vollsaufen und Tanzen.» Ein Eheversprechen für Rosina Haslibacher aber, konnten ihm auch die Chorrichter nicht abringen.
Der Handel landete beim Oberchorgericht in Bern. Rosina Halsibacher wurde in einem Wagen des Landvogts nach Bern chauffiert. Und nicht nur das: Sie wird dem Christian von Graffenried als ehelich zugesprochen, urteilt das Oberchorgericht am 5. Januar 1741. Wer nun denkt, die Sache sei damit erledigt, der irrt. Drei Wochen später beschäftigte sich das Oberchorgericht erneut mit der Sache. Die «Jungfer» Maria Magdalena Küntz, die Tochter des «Predicanten» aus Affoltern erklärt, dass von Graffenried ihr die Ehe versprochen habe und nun habe sie vernommen, dass ihm Rosina Haslibacher zugesprochen worden sei.
Die Macht des Protokollführers
Wie ging die Geschichte weiter? Da gibt es quasi zwei Versionen: Im Protokoll des Oberchorgerichts Bern, wo Christian von Graffenried herstammt, ist zu lesen, dass Rosina Haslibacher wegen der an ihr begangenen Untreue «liberiert» werden wolle. Anders liest sich der Eintrag im Sumiswalder Chorgerichtsmanual: Christian von Graffenried habe der Maria Madle Küntz «die Ehe zugesagt, sie geschwängeret». Deswegen habe er sich bei Rosina Haslibacher «für eine schöne Summa looserkauft», so dass diese auf eine weitere Klage verzichtet habe. Wie hoch diese Summe war, ist nicht bekannt. Klar ist hingegen, dass er dem Oberchorgericht eine Busse von 30 Pfund zu zahlen hatte.
Am 10. Februar 1741 heiratete Christian von Graffenried dann Maria Magdalena Küntz in der Kirche Affoltern. Obwohl in den Manualen in Zusammenhang mit Christian von Graffenried nicht wenig von schwangeren Frauen die Rede ist, wurde
er offenbar nie Vater. Und sein Lebenswandel schien sich auch im Hafen der Ehe nicht zu bessern: Er war in Aarburg inhaftiert und floh einmal gar ausser Landes.
Nur gut sieben Jahre nach der Hochzeit, am 25 Mai 1748, ist er gestorben. Er wurde 39 Jahre alt. Seine Frau, Maria Magdalena stirbt 1785 im Alter von 66 Jahren. Sie hat offenbar nicht ein weiteres Mal geheiratet.
Ein Kränzchen und eine neue Bleibe
Was wurde aus Rosina Haslibacher? Sie wurde im Frühling 1741, also wenige Monate nach von Graffenrieds Heirat, noch einmal vor das Chorgericht zitiert, weil sie als «Taufgezügen dargestanden» und dabei ein «Kräntzlin» getragen habe – was sich offenbar nur für eine jungfräuliche Gotte geziemt hätte.
Die junge Frau zieht weg und findet ihr Glück im Berner Oberland. Am 14. September 1741 heiratet sie Peter Schmid, den «Notarius» von St. Stephan.