Es war einmal eine Gesellschaft, welche das Recht auf Selbstbestimmung als ihren höchsten Wert im Zusammenleben
betrachtete. Dies brachte den Menschen ungeahnte Möglichkeiten und Freiheiten. Alle durften selber bestimmen, wo,
mit wem und nach welchen Massstäben sie ihr Leben gestalten wollten. Freilich prallten bei aller Freiheit
gegenteilige Sichtweisen aufeinander und führten nicht selten zu heftigen Konflikten. Während beispielsweise einige
Frauengruppen die Abtreibung als Menschenrecht einforderten, setzten sich andere mit grosser Überzeugung für das
Recht des ungeborenen Lebens ein. Die einen propagierten: «Mein Körper gehört mir! Niemand hat das Recht, meine
sorgfältig geprüfte Entscheidung in Frage zu stellen.» Die anderen monierten: «Freiheit endet dort, wo die Freiheit
eines anderen angetastet wird, was auch für den werdenden Menschen gilt.»
Weit weg von allen Demonstrationen,
Diskussionen und Streitgesprächen lebte ein alter Bauer in einem abgelegenen Tal des oberen Emmentals die
Vorstellung von Selbstbestimmung auf seine eigene Weise. Nachdem ein Wolf seine Lieblingsziege gerissen hatte,
lud er das Gewehr und eines Nachts fiel ein Schuss. Da bekanntlich nichts verborgen bleibt, was nicht früher
oder später ans Licht kommt, stand der Mann zwei Monate später als Angeklagter vor Gericht. Er hatte auf einen
Anwalt verzichtet, weil er die besten Argumente auf seiner Seite wusste. «Mein Grundstück gehört mir!»,
erklärte er dem Gerichtspräsidenten im Brustton tiefster Überzeugung. «Ich habe meine Entscheidung nach sorgfältiger
Abwägung selbstbestimmt getroffen.»
Nachdem der Mann zu einer saftigen
Busse verurteilt worden war, unter Androhung einer Haftstrafe im Wiederholungsfall, kehrte er nachdenklich nach
Hause zurück. Und wenn er nicht gestorben ist, überlegt er noch heute, warum in seiner