«Ich habe dieses Ding gefunden?...»

«Ich habe dieses Ding gefunden?...»
Gebrauchsspuren zeigen, dass dieses Messinstrument verwendet wurde - aber für was genau? / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Langnau: Ein geheimnisvoll aussehendes Objekt tauchte bei einer Haushaltsauflösung auf. Nun ist klar, um was es sich handelt – und wie es damit weiter geht.

Dass sich Leserinnen und Leser bei der Redaktion der «Wochen-Zeitung» melden, um mögliche Geschichten vorzuschlagen oder Fragen zu stellen, kommt nicht selten vor. «Vielleicht wäre das ja etwas für die Zeitung», lautet dann jeweils die Frage. Eher selten werden Gegenstände vorbeigebracht. Aktuell vielleicht alte Fotografien für die Rubrik «Blick zurück» oder auch mal ein historisches Schriftstück, das spannend aussieht.


Kügelchen klingen im Innern

«Ich habe etwas gefunden, was Sie interessieren könnte», erklärte auch Verena Graf aus Hasle-Rüegsau bei ihrem Besuch in der Redaktion und fügte an: «Aber ich weiss gar nicht, was das ist.» Dann nahm die ältere Dame eine längliche Kartonschachtel hervor, öffnete diese und entnahm ihr das in Seidenpapier eingewickelte Objekt. Das Ding besteht aus einem runden Messingkörper und einem gläsernen Röhrchen. Bewegt man es, hört man, dass sich im Innern des Messingkörpers Kügelchen bewegen.

Gut möglich, dass es sich um ein Messgerät handelt, mit dem die Dichte einer Flüssigkeit bestimmt werden kann, lautete die erste, spontane Einschätzung. Ein Alkoholmeter beispielsweise, mit dem etwa ein Brenner den Gehalt des Schnapses bestimmt hat? Ein Blick auf den Zettel, der sich im Glasröhrchen befindet, zeigt indes rasch, dass sich diese Annahme als  falsch erweist. Nicht Al­kohol wird gemessen, sondern Milch. Auf dem Zettel steht nämlich «Milchwage» und dann noch «von Quevenne» sowie «Chr. Müller in Bern».


Ein «Milchprober»

Es dürfte sich um «Dr. Chr. Müller» handeln, der sich in der Schweiz für die Einführung und Verbreitung des «Thermolaktodensimeter von Quevenne» verdient gemacht hat, wie im «Handbuch der Aräometrie» zu le-sen ist. Das Buch, das sich mit Methoden zur Bestimmung der Dichte von Flüssigkeiten beschäftigt, ist 1912 in einem Berliner Verlag erschienen. In dem Handbuch werden verschiedene Typen von Aräometer vorgestellt, welche zur Dichteprüfung von Milch eingesetzt wurden. Diese werden kurz auch Milchprober genannt. Das Modell Quevenne schneidet in dem Buch nicht so gut ab wie die «geeichten Milcharäometer, die den deutschen Eichvorschriften entsprechen». Gut möglich, dass bei den Autoren des deutschen Handbuches lokalpatriotische Gedanken eine Rolle spielten, denn «Quevenne» war Franzose.


Geschmack und Physik

Immerhin galt «Grad Quevenne» eine Zeit lang als gebräuchliche Einheit zur Bestimmung der relativen Dichte von Milch, wie ein Eintrag auf Wikipedia zeigt. Interessant ist, wie Théodore-Auguste Quevenne, so hiess er mit vollem Namen, auf die Unterschiede verschiedener Milchen gekommen ist. 1842 hat er seine Beobachtungen in einem Bericht «Ueber die Milch und einen Milch-Araeometer» festgehalten, den er als «Oberapotheker am Charité-Hospital zu Paris» zeichnete. Grundsätzlich hält er fest: «In ihrer Qualität als Nahrungsmittel betrachtet, ist die Pariser Milch geringer als die vom Lande.» Es fehle an Aroma und Schmackhaftigkeit.

Dann geht Quevenne bald auch auf die physikalischen Eigenschaften ein. Und hier kommt sein Aräometer ins Spiel. Mittels Proben stellte er fest, dass die Fettgehalte grundsätzlich variieren – etwa je nach Milchlieferant, Region oder Jahreszeit.

Verwendet wird das Messinstrument, indem es, das Messingstück gegen unten gerichtet, in die Milch getaucht wird. Für eine korrekte Bestimmung der Dichte ist wichtig, dass die Temperatur der Milch exakt 15 Grad Celsius beträgt.

Je mehr das gläserne Röhrchen aus der Milch ragt, desto dichter ist die Flüssigkeit – oder anders gesagt, desto weniger Fett enthält sie. Das Aräometer ist dafür mit zwei Skalen versehen, eine für «abgerahmt» und eine für «nicht abgerahmt». Weiter kann die Milch natürlich auch weniger Fett enthalten, indem ihr Wasser beigefügt wurde.


Quevennes hartes Fazit

Seine Messungen ergaben, dass die Milch am Anfang des Melkens weniger fettreich war als gegen Ende. Auch stellte er fest, dass das Fett in der Milch einer Kuh, die schon einige Monate gemolken wird, anders ist als bei einer frischgekalbten Kuh. Théodore-Auguste Quevenne schreibt weiter: «Das Lactodensimeter gibt ausser der Dichtigkeit der Milch auch ihren Gehalt an Käsestoff und Milchzuker an, und zwar braucht man, um diesen zu erfahren, die Zahl ihres Grades nur mit 2,75 zu multiplicieren.»

In seinem Résumé geht der Apotheker mit den Pariser Milchhändlern hart ins Gericht: «Beinahe alle Milch aber, welche man in Paris consumiert, wird abgerahmt und mit Wasser verdünnt, ehe sie bis zum Consumenten gelangt.»

Zum Einsatz kommen solche Milchprober heute kaum mehr. Man habe modernere Geräte, um den Gehalt an Fett und Eiweiss zu bestimmen, erklärt ein Käsermeister aus der Region. Um zu kontrollieren, ob ein Bauer gepanschte Milch abliefere, vergleiche man heute den so genannten Gefrierpunkt der Milch. In Käsereien werde aber ein ähnliches Instrument noch heute eingesetzt. Und zwar, um den Gehalt des Salzbades zu ermitteln, in das die frischen Käselaibe für eine Zeit lang gelegt werden.


Nun gehts ins Museum

Hat das Aräometer demnach einem Käser gehört? Entdeck hat Verena Graf das Messinstrument bei einer Haushaltsauflösung in einem Bauernhaus. Dort habe man Gegenstände mehrerer Generationen gefunden, berichtet sie. Es sei daher nicht klar, wie es dorthin gelangt sei.

Da in der Familie niemand Ver­wendung für das Milcharäometer hat, suchte die Besitzerin einen neuen Platz für dieses. «Irgendwie wäre es schade, es wegzuwerfen.» Nun ist klar: Das Milcharäometer wird in den Bestand des Regionalmuseums Chüechlihus aufgenommen. Das Museum sei – trotz fleissigem Entsammeln – auf Schenkungen angewiesen, um die Sammlung zu ergänzen und zu vertiefen, schreibt Simon Schweizer vom Chüechlihus. Man werde das Aräometer gerne aufnehmen, da es den wichtigen Sammlungsteil zur Milchwirtschaft ergänze. «Wir haben tatsächlich kein ähnliches Objekt in der Sammlung», fügt Schweizer an.

15.08.2024 :: Bruno Zürcher (zue)