Steinadler gehen zwar oft in grosser Höhe auf die Jagd. Ihren Horst bauen sie aber in eher tiefen Lagen. / Bild: Erhard Hofer (hol)
«Acheluege» (4/5): Eine Gruppe Vogelfreunde machte sich gemeinsam mit dem Ornithologen Paul Rogenmoser auf, um Steinadler zu beobachten. Doch der König der Lüfte liess sich nicht blicken.
Ein Dutzend Natur- und Vogelfreunde, ausgerüstet mit Fernrohr, Feldstecher und Kamera, treffen sich im Gebiet der Schrattenfluh zu einer Steinadler-Exkursion mit dem Ornithologen Paul Rogenmoser aus Schüpfheim. Seit Jahren beobachtet und betreut er fünf Adlerreviere im Entlebuch und leitet Exkursionen durch die Natur der Unesco Biosphäre Entlebuch. Der Weg zum Einstand der Adler führt nicht wie erwartet über einen steilen Weg einem markanten Berggipfel entgegen, sondern zur allgemeinen Überraschung über ein talwärts führendes Natursträsschen. «Die Adler bauen ihren Horst nicht hoch in den Bergen, sondern an eher tiefergelegenen Felswänden», erklärt uns Paul Rogenmoser und liefert auch gleich die Begründung nach: «Natürlich fliegen und jagen die Adler oft oben am Berg. Als Bodenjäger sind sie in der Lage, Beutetiere bis etwas mehr als ihr Eigengewicht, das heisst vier bis sechs Kilo, mit ihren Flügelspannweiten von ungefähr zwei Metern zum Horst zu fliegen. Das fällt ihnen natürlich leichter, wenn sich der Horst in tieferen Lagen befindet.» Nach einem einstündigen Fussmarsch erblicken wir in weiter Ferne den gesuchten Raubvogel für einen Moment hoch oben am Himmel. Noch ein Tobel überqueren und wir sind an unserem Beobachtungsort angekommen. Wir befinden uns auf 1200 Meter über Meer. Vor uns liegt ein Felsband inmitten eines bewaldeten Steilhanges. Dort oben, auf einer Sichtdistanz von 500 Metern ist er also, der Adlerhorst mit einem jungen Adler, gut versteckt hinter einem Busch. Aber wo ist der König der Lüfte?
Warten auf die Adler
Von jetzt an bestimmen nicht wir, was passieren soll, sondern einzig und allein die Natur, beziehungsweise die beiden Adler. Paul Rogenmoser nutzt die Zeit, uns an seinem Wissen und seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. «Der kleine Adler dort oben ist jetzt ungefähr 70 Tage alt. Nun muss er vom Weibchen nicht mehr von Schnabel zu Schnabel gefüttert werden. Das Adlerpaar ist deshalb nicht mehr so häufig beim Horst zu sehen. Das Weibchen wird sich im Moment wahrscheinlich im Umkreis von einigen hundert Metern aufhalten, während das Männchen möglicherweise unterwegs am Jagen ist. Die Beute wird dem kleinen Adler zum Horst gebracht, wo er
sie mit seinen Flügeln in Beschlag nehmen und verteidigen muss. Erst dann entfernt sich das Männchen wieder vom Horst. Auf diese Weise soll der junge Adler zum überlebensfähigen Jäger aufgezogen werden.»
Andere Adler werden wir übrigens kaum zu Gesicht bekommen, da nach Aussagen von Paul Rogenmoser in einem Revier von 60 bis 100 Quadratkilometer stets nur ein Paar sesshaft ist. Auch unser kleiner Adler muss das Revier bis zum nächsten Winter verlassen und wird auf sich selber angewiesen sein.
Die Natur ist kein Wunschkonzert
Mittlerweile sind zwei Stunden des Wartens vorüber. Noch immer ist kein Adler zu sehen. Ein Teil der Gruppe macht sich auf den Heimweg, während einige Teilnehmer weiter in der prallen Sonne ausharren. «Die Ereignisse in der Natur lassen sich nicht planen. So können wir glücklicherweise auch die Aktivitäten unserer Steinadler nicht beeinflussen», gibt uns Paul Rogenmoser zu bedenken. Nach fünf weiteren Ansitzstunden ohne Adleranblick streicht auch die restliche Gruppe die Segel und begibt sich auf den Rückmarsch. Trotz dem ausgebliebenen Adlerflug nehmen wir viel Wissenswertes über das Leben vom König der Lüfte mit nach Hause. In Zukunft wird uns sicher nach überraschenden und aussergewöhnlichen Begegnungen mit der Tier- und Pflanzenwelt bewusst sein, dass wir soeben ein freiwilliges Geschenk von der Natur erhalten haben.