Der Blick von der Doldenhornhütte hinab nach Kandersteg. / Bild: Laura Fehlmann (lfc)
«Acheluege» (2/5): Das Emmental sieht man von der Doldenhornhütte aus zwar nicht. Doch da sie dem SAC Emmental gehört, schaut die «Wochen-Zeitung» auch von hier herab.
Ja, Heidi und Fritz Wenger, die Hüttenwarte der Doldenhornhütte (1915 Meter über Meer), schauen häufig hinunter ins Tal. «Am Morgen früh, bevor die Gäste kommen, machen wir das immer wieder mit einem Kaffee in der Hand», sagen sie. «Man sieht Frutigen und natürlich Kandersteg, das Treiben der Autos, der Züge, aber man hört nichts. Und das macht den Ort hier oben speziell.» Auch das Kandersteger Schwimmbad können die beiden sehen, aber das locke sie nicht: «Das zieht uns nicht runter, wir haben unser Alpenbad.» Den «fantastischen Ausblick» schätzen die beiden, sind aber auch froh, auf rund 700 Meter über dem Talgrund arbeiten zu können. «Für unseren Geschmack hat es unten fast zu viele Leute.»
Hüttenwart – «eine Berufung»
Die Doldenhornhütte gehört, wie die Tafel am Eingang ausweist, der SAC Sektion Emmental. Das Hüttenwartpaar kommt aus Utzenstorf. Der 65-jährige Fritz Wenger war im Berufsleben Projektleiter im internationalen Anlagebau. Heidi Wenger (61) sammelte Erfahrung als Hüttengehilfin auf der Weissmies- und Rotstockhütte, bevor beide vor sechs Jahren die Stelle hoch über Kandersteg übernahmen. Wieso eigentlich? Fritz Wenger lacht. «Im Hüttenwartkurs
hat uns ein Dozent gesagt, wer das werden wolle, müsse zuerst zum Psychiater. Man muss wirklich ein bisschen verrückt sein, Leidenschaft aufbringen, um Hüttenwart zu werden.» Der Job sei vielfältig, sei eine Berufung: Die H?^ütte und ihre Versorgung managen, mit den Leuten umgehen können, das Wetter einkalkulieren. «Man ist für alles zuständig, man muss flexibel sein.» Und Heidi Wengers Motiv? «Ich bin gerne Gastgeberin», sagt sie, «ich koche und backe gerne, ich will, dass es den Leuten wohl ist. Zu den Fisistöcken hochschauen, gibt mir Kraft.» Kraft brauchte es insbesondere in den vergangenen Wochen. «Das Wetter war noch fast nie so schlecht. Eigentlich wären unsere 36 Plätze sehr gut gebucht, doch dann kamen von den vielen, die reserviert hatten, manchmal nur einige wenige Personen.» Tage ohne Besucher gebe es aber nicht, irgendwelche «Wettererprobte» fänden immer den Weg zur Hütte.
Freud und Leid
SAC-Hüttenwarte, sagen die Wengers, seien auch Unternehmer. «Wir bezahlen eine Pacht, wir haben Angestellte. Wenn das Wetter nicht mitmacht, darf man nicht nervös werden. Ja, wir verdienen schon etwas in den fünf Monaten da oben, aber kein Jahressalär, reich werden wir sicher nicht.» Entschädigt werden die beiden auch durch schöne Momente. «Etwa, wenn Kinder den Aufstieg zum ersten Mal geschafft haben und uns anstrahlen», sagt Fritz Wenger. Einmal sei ihm ein kleiner Bub den ganzen Tag nachgelaufen und habe dann erklärt: «Wenn du stirbst, übernehme ich die Hütte.»
Natürlich gebe es auch ärger. Als Beispiele dafür nennt er «die kurzfristige Abmelderei», das Nichterscheinen von Leuten, für die bereits vorgekocht wurde und die «sofortige Frage nach dem Passwort fürs Wlan» – das es natürlich nicht gibt. Viele Leute, die neu das Wandern entdeckt hütten, wüssten nicht, wie eine Hütte funktioniere. «Wir sind ein kleines Team, haben eine kleine Küche, wir können nicht alles machen», sagt Heidi Wenger, «wer gerne Pommes frites hätte, müssen wir enttäuschen.» Ja, auch Duschen gibt es keine, und Gäste mit Hunden sind hier wie für alle SAC-Hütten ein Problem: Es sei nicht möglich gewesen, Hunde in einer Box im Abstellraum schlafen zu lassen. Manche hätten die ganze Nacht gebellt, weil sie von ihren Herrchen getrennt gewesen seien.
Materialseilbahn ausser Betrieb
Ein Problem ist neuerdings auch die Versorgung der Doldenhornhütte. Ein Murgang hat im Bereich der Talstation der
Materialseilbahn erhebliche Landschaftsschäden verursacht. Der Öschibach fliesst nun teilweise über die Zufahrt, so dass die Bahn nicht mehr benutzt werden kann. Deshalb braucht es Helikopterflüge, um das Funktionieren der Hütte zu gewährleisten. Ein- bis zweimal pro Woche steigt Fritz Wenger zwar ins Tal, aber das reicht nur für das Allernotwendigste.
Und es könnte noch schlimmer kommen, dann nämlich, wenn die Trafostation der Doldenhornhütte überschwemmt würde und ein Dieselgenerator für die Stromversorgung eingesetzt werden müsste. Im Weitern haben diverse Murgänge auch dafür gesorgt, dass der Bärentritt, der beliebte Wanderweg zur Hütte via Öschinensee, gesperrt werden musste. Die Rundwanderung von Kandersteg aus fällt also aus, offen für den Hin- und Rückweg ist nur der Pfad, der beim Ruedihus im Dorf beginnt. Der Blick hinunter auf den Öschinensee ist aber trotzdem möglich: Am besten nimmt man sich dafür die rund 15 Minuten Zeit, die es für den Weg braucht, um sich auf die von Fritz Wenger beschaffte Holzbank oberhalb der Doldenhornhütte zu setzen. «Kanzel» wird dieser Flecken genannt, und von da aus ist die Aussicht auf den See, auf das Schwarzhorn und die Blüemlisalp prächtig.
Umbau im nächsten Jahr
Fritz und Heidi Wenger machen kein Geheimnis daraus, aber sie erwähnen es doch erst am Schluss des Gesprächs: Die bisher nicht ganz einfache Saison 2024 ist ihre letzte. Im nächsten Jahr soll die Doldenhornhütte nämlich modernisiert und erweitert werden. 3,4 Millionen Franken haben die Mitglieder des SAC Emmental für das Projekt «Topas» bewilligt. Über der Hütte wird ein zeltfömiges Dach gebaut, im Innern wird, wie es in den Unterlagen heisst, «eine moderne und nachhaltige Infrastruktur» geschaffen und damit auch «eine Verbindung zwischen Tradition und Zukunft für unsere Gäste». «Es muss etwas gehen», sagt Heidi Wenger zum Bauprojekt, «jedes Jahr kommen mehr Leute, wir gelangten an unsere Grenzen.» Alles habe einen Anfang und ein Ende, «wir haben uns mit dem Entscheid, aufzuhören, schwergetan, aber die neue Hütte braucht neue Leute.» Geplant ist die Neueröffnung der Doldenhornhütte für die Saison 2026.