«Boah, Grosätti, das Vreneli isch so cool!»

«Boah, Grosätti, das Vreneli isch so cool!»
Was wäre Ueli (Marco Lehmann) ohne Vreneli (Sarah Bigler)? Eine Szene aus dem Freilichttheater auf dem Hämeli. / Bild: zvg
Signau: Das Freilichttheater «Ueli dr Chnächt» auf dem Hämeli überzeugt mit einem starken Kollektiv – und schafft es, das Gotthelf-Stück in die heutige Zeit zu transformieren.

Und hätte sie nur diese eine Szene gespielt – Vreneli hätte die Herzen des Publikums bereits erobert gehabt. Da sitzt Meisterknecht Ueli zusammen mit Elisi, der Tochter des Hauses, auf dem Bänkli vor der «Glungge». Elisi macht ihm Avancen, die Ueli zuerst abwehrt, dann aber doch nachgibt und ihr ein Müntschi gibt. Just in diesem Moment tritt Vreneli vors Haus, diese herzensgute, junge Bedienstete, die Ueli vom ersten Moment an gemocht hat, aber ihm das nie von sich aus zu sagen gewagt hätte.

Vreneli ist untröstlich, nachdem sie Ueli mit Elisi zusammen gesehen hat. Sie geht zum plätschernden Brunnen, versucht sich abzulenken, ihre Tränen abzuwischen, aber sie ist so traurig, dass man als Zuschauer selbst fast das Taschentuch hervorholen muss.

Das ist einer der Höhepunkte des Freilichttheaters Signau, das im Hämeli heuer «Ueli dr Chnächt» aufführt. Letzte Woche war Premiere.


Starke Worte

«Ueli dr Chnächt.» Ja, das Stück ist ein sicherer Wert. Aber es weckt auch Erwartungen: Immer wieder hat man den bekannten Film aus den 1950er-Jahren vor Augen. Vergleicht die Theaterdarstellenden mit Hannes Schmidhauser, der den Ueli spielte, oder mit Lilo Pulver, die das Vreneli auf so magische Weise verkörperte. Wenn das Stück dann noch auf dem Hämeli aufgeführt wird – vor einem Bauernhaus, das perfekt in eine alte Gotthelf-Verfilmung passen würde – dann ist die Versuchung gross, im Theater einfach den Film abzuspulen.

Doch das geschieht nicht. Zwar bleibt das Geschehen auf dem Hämeli nahe an der blumigen Gotthelf-Sprache und an gewissen Szenen aus dem Schnyder-Film. Doch mit einem kreativen Kniff gelingt es Autorin Marlise Oberli-Schoch, das Stück in die heutige Zeit zu transformieren. In den Übergängen zwischen den Szenen treten die junge Lea (gespielt von Julia Gerber) und ihr sehbehinderter Grossvater (Armin Portmann) auf die Bühne. Lea hat den Original-Gotthelf-Roman auf ihren Tablet-Computer heruntergeladen, liest dem Grossvater jeweils ein paar Sätze daraus vor. Dazu gibt sie, in heutiger Jugendsprache, ihre Kommentare ab. Das tönt dann zum Beispiel so: «Dr Bodepuur fingts gloub nid so cool, dass dr Ueli ds Elisi wott hürate.» Oder: «Hey Grosätti, dä Alphonse isch sone Schliiimer.»


Starke Frauen

«Freeze!» Während Lea und der Grossvater philosophieren, stehen die restlichen Schauspielerinnen und Schauspieler wie eingefroren auf der Bühne. Das ist schwierig zu spielen, sieht auf dem Hämeli aber einfach aus – was für die Leistung der Laiendarstellenden spricht. Egal, wie klein oder gross ihre Rolle ist.

Ueli (Marco Lehmann) und Vreneli (Sarah Bigler) sorgen für die Emotionen. Derweil ist Joggeli (Hans Peter Blaser) für die Lacher zuständig. Wie der «Glungge»-Bauer «chiirmet», wie er über alles jammert und sich Sorgen macht, wie er es doch nie wagt, die eigene Meinung zu sagen – das ist, um beim Vergleich mit dem Film zu bleiben, grosses Kino.

Erzählerin Lea fasst das Geschehen treffend zusammen: «Die hei mega Stress uf dr Glungge.» Aber man verrät wohl nicht zu viel, wenn man an dieser Stelle andeutet, dass am Schluss doch noch alles gut kommt. Zu verdanken ist das, wie so oft, starken Frauen. Allen voran natürlich Vreneli, über die Lea voller Bewunderung sagt: «Boah, Grosätti, das Vreneli isch so cool!»

04.07.2024 :: Markus Zahno (maz)