Der Brocki-Boom

Der Brocki-Boom
Geschirr zählt zum klassischen Brocki-Inventar – ein Blick in die «Gänggälärie» in Schüpbach. / Bild: Markus Zahno (maz)
Emmental/Entlebuch: Die Zeiten, in denen Brockenstuben als verstaubt galten, sind vorbei. Heute sind sie im Trend, wie Besuche in Escholzmatt, Schüpbach und Oberdiessbach zeigen.

Die Brockenstube des Frauenvereins Oberdiessbach gibt es seit 70 Jahren. Seit zehn Jahren hat Monika Roth die Leitung inne. Im Laufe dieser Zeit hat sie bei der Kundschaft einen Wandel festgestellt: «Wir haben heute mehr jüngere Kundinnen und Kunden als noch zu meiner Anfangszeit.» Bei den Jungen besonders gefragt seien Secondhand-Kleider. Diese werden dann häufig «upgecycelt», aus einem Herrenhemd etwa entsteht eine coole Damenbluse.

«In Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit sind die Jugendlichen sensibler geworden», sagt Monika Roth. Statt möglichst günstig etwas Neues zu kaufen, legten viele junge Menschen Wert auf hochwertige Produkte. Sie neu zu kaufen, ist für Junge aber häufig nicht erschwinglich – gebraucht dagegen schon. Daneben zählen auch immer mehr professionelle Händler zu den Kunden. «Diese erkennt man rasch», sagt Monika Roth. Sie fragen gezielt nach Schmuck oder Sackmessern und prüfen mit Lupe und geübtem Blick die Prägung auf den Schmuckstücken, die anzeigt, aus wie viel Gold oder Silber das Objekt besteht.


Die Präsentation

Einst hatten Brockenstuben vielerorts ein verstaubtes Image. «Heute ist Retro im Trend», sagt Barbara Bärtschi. Sie hat in Schüpbach, in der ehemaligen Autowerkstatt gegenüber dem Gasthaus Kreuz, letzten November die «Gänggälärie» eröffnet. Der Name ist eine Kombination aus dem berndeutschen «gänggele» und dem französischen «Quincaillerie», zu Deutsch Eisenwarenhandlung. Obwohl: Eisenwaren findet man in der Brocki von Barbara Bärtschi und ihrer Kollegin Heidi Krähenbühl weniger. Stattdessen gibt es auch hier zum Beispiel Kleider und Schuhe. Barbara Bärtschi nimmt ein Paar schwarze Frauenstiefel in die Hand. «Wunderschön und praktisch neu­wertig», kommentiert sie. In der «Gänggälärie» findet man aber auch allerlei anderes: Haushaltgeräte, Geschirr, Schmuck, alte Holzschränke, eine Modelleisenbahn, Inline-Skates, ja sogar eine Küchenkombination inklusive Backofen. Barbara Bärtschi und Heidi Krähenbühl legen Wert auf eine stilechte Präsentation der Waren. «Das ist sehr wichtig», sagt Bärtschi. Aus diesem Grund wurden einige Einrichtungen der Autowerkstatt bewusst im Originalzustand belassen, etwa die Hahnen, an denen die Automechaniker einst Motorenöl zapften.


Die Wirtschaftlichkeit

Ursprünglich wurde die Autowerkstatt in Schüpbach von Barbara Bärtschis Mann betrieben, später an die TMS GmbH vermietet. Nachdem diese an einen anderen Standort gezügelt hatte, stand die Werkstatt eine Zeit lang leer. Während Corona hat die Familie die grossen, hohen Räume neu gestrichen und beschlossen, eine Brocki einzurichten. Werbung wurde seit der Eröffnung erst wenig gemacht, trotzdem habe sich bereits eine Stammkundschaft gebildet. «Reich wird man aber nicht. Die Brocki be­treiben wir zur Freude», sagt Barbara Bärtschi. Müsste sie für das Lokal eine hohe Miete bezahlen, liesse sich die Brocki kaum finanzieren. Da die Räumlichkeiten aber im Besitz der Familie sind, geht es. Auch viele andere Brockenstuben leben davon, dass die Betreiberinnen mit viel Herzblut und wenig Lohn arbeiten. Zum Beispiel die Brockenstube an der Hauptstrasse in Escholzmatt. Sie wurde vor 26 Jahren vom Gemeinnützigen Frauenverein Friede Escholzmatt gegründet. Lilli Bittel und Greth Limacher sind von Beginn weg dabei, und auch sie stellen in letzter Zeit einen deutlichen Aufwärtstrend fest. Konkrete Umsatzzahlen nennen sie zwar nicht, aber fest steht: Dank der Brockenstube kann der Verein jedes Jahr einen hohen vierstelligen Betrag an gemeinnützige Organisationen und Projekte spenden, beispielsweise an Jugendlager.


Die Sorgfalt

Die Ware erhalten die Brockis in der Regel gratis. Einerseits bringen die Leute ihre gebrauchten Dinge während den Öffnungszeiten ins Brockenhaus, andererseits wird das Brocki-Team bei Wohnungsräumungen immer wieder eingeladen, vorbeizukommen und zu schauen, was es mitnehmen möchte. «Es ist wichtig, die Waren gut zu prüfen, bevor wir sie annehmen», sagt etwa Monika Roth von der Brockenstube des Frauenvereins Oberdiessbach. Nehme man zu viel an, seien die Entsorgungskosten zu hoch. Aus dem Brocki-Bestand wird praktisch nichts einfach so in den Abfall geworfen. Sind in Oberdiessbach zum Beispiel Kleider nach einem Jahr oder nach anderthalb Jahren nicht verkauft, werden sie an ein Hilfswerk weitergegeben. «Das ist doch ebenfalls eine gute Sache, nicht wahr?», sagt Monika Roth. Man mag ihr gewiss nicht widersprechen.

04.04.2024 :: Markus Zahno (maz)