Wenn aus dem vermeintlichen Traumprinzen ein Zuhälter wird

Wenn aus dem vermeintlichen Traumprinzen ein Zuhälter wird
Loverboys haben es auf Mädchen und junge Frauen abgesehen, die sie in Chatrooms kennenlernen. / Bild: Shutterstock
Langnau: Loverboys, das tönt nach Romantik. In Tat und Wahrheit stecken Menschenhändler dahinter, die junge Frauen als Prostituierte ausbeuten wollen. Ein Vortrag will sensibilisieren.

«Lasst euch nicht überreden, etwas mitzumachen, das ihr in eurem Herzen als falsch anseht! Hört auf eure innere Stimme, auch wenn ihr verliebt seid! Gerade wenn es darum geht, für seinen Freund in die Prostitution zu gehen, hat dies einfach nichts mehr mit Liebe zu tun!» Dieser eindringliche Appell stammt von Mia, die selber Opfer eines Loverboys geworden ist und sich von ihm befreien konnte. Wie die Menschenhändler vorgehen, weiss Irene Hirzel, Geschäftsführerin des Vereins ACT212. Das Beratungs- und Schulungszentrum beschäftigt sich mit Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Loverboys seien nichts anderes als Zuhälter, die aber zuerst eine emotionale Bindung zum Opfer aufbauen würden, erklärt Hirzel. Die Täter, meist nur wenige Jahre älter als die Opfer, handelten teils allein, seien aber auch in Banden organisiert.


Die vermeintlich grosse Liebe

Das Vorgehen eines Loverboys sei immer ähnlich. «In einem ersten Schritt rekrutiert er das Opfer in Chatrooms auf den sozialen Medien», erzählt Irene Hirzel. Er zeige sich einfühlsam und verständnisvoll, mache Komplimente. «Das Mädchen verliebt sich unsterblich.» Schon bald wolle er sich mit ihr treffen und eine sexuelle Beziehung beginnen. Nach und nach sondere der Loverboy sein Opfer von der Familie und von Freunden ab. Er werde zunehmend fordernd, besitzergreifend, mache vielleicht Nacktbil-der oder Pornofilmchen mit ihr oder nehme sie mit ins Bordell. «Irgendwann erzählt er ihr, dass er in finanziellen Problemen stecke und nur sie ihm helfen könne», sagt Irene Hirzel. Das Mädchen müsse nur mit einem Freund schlafen, dann sei das Problem gelöst. So führt er sie Schritt für Schritt in die Prostitution, kontrolliert und manipuliert sie. Der vermeintliche Traumprinz ist zum Zuhälter und Menschenhändler geworden, der viel Geld mit seinem Opfer verdienen will. «Die junge Frau ist zu diesem Zeitpunkt total abhängig und sieht sich nicht als Opfer», sagt Irene Hirzel. Und wenn sie sich doch wehren wolle, werde sie erpresst, mit Nacktbildern oder mit der Drohung, der Familie Schaden zuzufügen.


Nur wenige Anzeigen

Aus dieser Falle könnten sich die jungen Opfer meist nicht selber befreien, weiss Hirzel. Oft seien es die Eltern, die mit der Nationalen Meldestelle gegen Menschenhandel und Ausbeutung Kontakt aufnehmen würden. Diese wird vom Verein ACT212 betrieben und vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) finanziell unterstützt. Auch Betroffene können sich dort melden. «Wir schauen, was die Person braucht und vernetzen sie mit spezialisierten Stellen, sei es die Opferhilfe, die Polizei oder eine Beratungsstelle.» Im Zeitraum von 2018 bis 2023 seien 70 Verdachtsmeldungen zu Loverboys eingegangen, zwei Drittel davon zu Minderjährigen, mehrheitlich Mädchen, sagt die Geschäftsleiterin. Tendenz steigend. Lange Zeit sei das Phänomen nicht gross beachtet worden, doch das habe sich in den letzten Jahren geändert. So gebe es nun die ersten zwei Verurteilungen von Tätern. Warum sind es nicht mehr? «Das Problem ist, dass nur wenige Opfer eine Anzeige machen. Oft weigern sie sich, den Namen ihres Peinigers zu nennen. Und dann kann die Polizei nicht ermitteln.»


Aufklären mit Vortrag

Damit es erst gar nicht so weit kommt, setzt der Verein ACT212 auf Aufklärung und Sensibilisierung. Es werden Kurse und Vorträge angeboten, sei es für Fachpersonen, für Schulen oder für die Öffentlichkeit. So hält Irene Hirzel auf Einladung des Soroptimist International Club Emmental am Mittwoch, 20. März, einen Vortrag in Langnau (19.30 Uhr im Kirchgemeindehaus). Denn Loverboys suchten sich ihre Opfer auch auf dem Land. «Mit den sozialen Medien geht das heute einfach und ist nicht ortsgebunden», sagt Hirzel. Mia hat vor Gericht gekämpft. Ihr Zuhälter wurde unter anderem wegen Menschenhandels sowie Förderung der Prostitution verurteilt – zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und Landesverweis. Er hat gegen seine Verurteilung Berufung eingelegt.

Wie erkenne ich ein Opfer?

Es ist nicht immer einfach, zu merken, wann ein junger Mensch in die Fänge eines Loverboys geraten ist. Viele Indizien können auch zur normalen Entwicklung eines Teenagers gehören. Man müsse deshalb die Hinweise in der Kombination betrachten, vor allem, wenn sie im Zusammenhang mit einem neuen Freund stehen würden, erklärt Irene Hirzel von ACT212. Zu den Indizien gehören: Rückzug von den Eltern, häufiges Chatten und Ausgehen, teure und sexy Kleidung, schlechtere Schulleistungen und viele Absenzen, Schmerzen im Unterleib, Blutungen, Selbstver-letzungen, Depressionen. Im Zweifelsfall rät sie Eltern, die Meldestelle zu kontaktieren.

14.03.2024 :: Silvia Wullschläger (sws)