Alte Gegenstände, neue Geschichten

Alte Gegenstände, neue Geschichten
Tablet umhängen, Kopfhörer auf und los geht es: Texte von fünf Autorinnen und Autoren eröffnen einen neuen Blick auf die Ausstellung. / Bild: zvg
Langnau: Auf einem literarischen Audio-Rundgang durch das Chüechlihus erhalten die Besucherinnen und Besucher überraschende Perspektiven auf die Museumsgegenstände.

Von der alten Kinderwiege übers Butterfass bis hin zur SCL-Clubjacke – im Regionalmuseum Chüechlihus finden sich hunderte Gegenstände, die zum Emmentaler Kulturerbe gehören. Aber haben all diese Objekte auch etwas mit unserem heutigen Leben zu tun? «Ja», ist Museumsleiterin Carmen Simon überzeugt, «wenn es uns gelingt, eine Brücke zwischen historischem Erbe und Gegenwart zu schlagen.» Einen neuen Weg dafür fand Simon mit dem Format «Kultur wo z rede git». Wer beim Museumseingang ein pink eingefasstes Tablet und einen Kopfhörer fasst, kann sich auf einen literarischen Rundgang durch die Dauerausstellung begeben und hören, was die alten Objekte Neues zu erzählen haben.


Keine Vorgaben

Carmen Simon lud in Zusammenarbeit mit Jüre Lehmann von Radio Neo1 fünf Autorinnen und Autoren dazu ein, den ausgestellten Gegenständen eine Stimme zu geben. «Dabei ging es nicht um historische Fakten, sondern darum, neue Geschichten entstehen zu lassen», sagt sie. Achim Parterre, Benjamin Lauener, Jenn Unfug, Kim Schmid und Peter Heiniger haben sich auf das Experiment eingelassen. Ihnen wurden je fünf Ausstellungsräume zugelost. Aus diesen haben sie einen Gegenstand ausgewählt und dazu einen Text geschrieben, mit «Neo1» wurden die Texte aufgenommen und auch im Radio ausgestrahlt. Vorgaben zu Inhalt oder Form gab es keine – einzig die zeitliche Limite von zwei Minu-ten durfte nicht überschritten wer-den.


Nachhaltigkeit, Krieg, Erziehung

Entstanden sind komplett unterschiedliche literarische Stücke: Manche sind in Mundart verfasst, andere in Hochdeutsch. Sie erzählen lustige Anekdoten, schlagen einen spannenden Bogen, schildern Dramatisches oder warten mit poetischen Tönen auf. Durchwegs sind die Texte überraschend. In der alten Bauernstube lauscht man einem Dialog zwischen Doppelbett und Kinderwiege (Text: Kim Schmid). Warum wiegelt eine Kinderwiege und das Doppelbett steht nur still? Warum fallen grosse Leute nicht mehr aus dem Bett und kleine werden nicht seekrank? Im Geschoss, das der Familie Schenk gewidmet ist, ereilt einem das Bitten des Mechanikus´ Christian Schenk, ihn nun doch endlich – 200 Jahre nach seinem Tod – aus der Dachkammer des Museums zu entlassen (Text: Achim Parterre). Etliche Themen sind hochaktuell: Zum Beispiel klingen im Text «Dürsrüti-Tanne» von Peter Heiniger Gedanken zur Nachhaltigkeit an. «Holzsoldaten» passt nicht nur zur gegenwärtigen kriegerischen Weltlage, sondern rückt auch die Frage nach gleichberechtigter Erziehung in den Fokus. «Schindeln» – ein poetischer, persönlicher Beitrag von Jenn Unfug – zeigt, dass manche Texte auch weit weg vom Ausstellungsobjekt sind.


Neuer Blick auf Bekanntes

Wie schon beim Projekt «Entsammeln» geht es Carmen Simon auch beim neuen Format darum, vielfältige Zugänge zum Regionalmuseum zu schaffen. «Wir müssen die Chüechlihus-Sammlung immer wieder neu entdecken», sagt sie. 

Animiert ein solches Format Menschen, ins Chüechlihus zu kommen, die noch nie da waren? «Vielleicht», sagt die Museumsleiterin, aber der Rundgang sei gerade auch für Per­sonen spannend, welche die Dauerausstellung bereits kennen. «Er ermöglicht den Besucherinnen und Besuchern völlig neue Perspektiven auf die ausgestellten Gegenstände.» Sie selbst schaue die Objekte nun auch mit anderen Augen an. «Der Gang durch die Küche in der Ausstellung entlockt mir immer ein Schmunzeln, weil ich an die Eifersuchtsszene der Brätzelieisen denke, die das Chüe­chlieisen beneiden», sagt sie (Text Achim Parterre). Der Audio-Rundgang bleibt während des laufenden Jahres in die Ausstellung integriert und kann während den normalen Öffnungszeiten im Regionalmueseum erlebt werden.

18.01.2024 :: Regine Gerber (reg)