Vom Powerstürmer zum Schiedsrichter

Vom Powerstürmer zum Schiedsrichter
Head-Schiedsrichter Roland Gerber beim Fototermin zwei Stunden vor dem Match Olten gegen Visp. / Bild: Markus Zahno (maz)
Eishockey: Nach seinem Rücktritt als Spieler begann Roland Gerber als Schiedsrichter. Er hat Talent, pfeift bereits in der Swiss League. Wir haben ihn an ein Spiel begleitet.

Ein Sonntagnachmittag im Dezember. Roland Gerber kommt bei der Eishalle Kleinholz in Olten an. Er steigt aus dem Auto, nimmt seine Sporttasche aus dem Kofferraum und schreitet ins Stadion. Hier begegnet
er als Erstes dem Materialwart des EHC Olten, einem quirligen Mann mit schwarzem Pullover und kurzen Hosen. «Lue da, der Role Gärber!», ruft dieser schon von Weitem. Die beiden begrüssen sich, wechseln ein paar Worte – und der Materialwart scherzt: «Pfiifsch de ke Seich, gäu!» Roland Gerber ist vielen noch als Eishockeyspieler bekannt. Er fasste Fuss bei den SCL Tigers, stieg mit Biel in die National League auf, wurde mit Bern Schweizermeister und mit Servette zweimal Spengler-Cup-Sieger. Später kehrte der Stürmer nach Langnau zurück, wo er 2019 seine lange Profikarriere beendete. Nun steht er in seiner fünften Saison als Schiedsrichter und ist bereits in der zweithöchsten Liga, der Swiss League, angekommen. An diesem Dezembersonntag leitet er die Partie Olten gegen Visp.


Der Anfang

Dreieinhalb Stunden vor Spielbeginn sitzt Gerber in einem Kaffeehaus in der Nähe des Stadions und erzählt. Ursprünglich habe er die Trainerausbildung begonnen, dann aber rasch gemerkt, dass das nicht seine Welt sei. Dann traf er Roman Kaderli, der lange als Linienrichter in der National League tätig war. «Er sagte mir: ‹Role, willst du nicht Schiedsrichter werden? Ich denke, du hättest gute Voraussetzungen.›» Gerber lachte – und fragte Kaderli: «Du erinnerst dich schon, welcher Typ Spieler ich war?» Gerber war ein physischer Spieler, der die Grenzen des Erlaubten regelmässig auslotete. Aber er war kein Spieler, der dreckig spielte, und auch nicht einer, der ständig motzte.

Je länger sich Gerber die Sache mit dem Schiedsrichter überlegte, desto mehr fand er: Warum eigentlich
nicht? So leitete er erste Spiele in der U13 und U15 sowie in der 3./4. Liga. In der nächsten Saison folgte der Aufstieg in die U17 und die 1./2. Liga,  eine Saison später in die U20 und die MyHockey-League. Letzte Saison schaffte er als «Prospect» den Sprung in die Swiss League, in der er sich diese Saison etabliert hat.


Der Alltag

Ehemaligen Hockeyprofis steht der «Fast Track» – die schnelle Bahn – zur Schiedsrichterkarriere offen. Bei guten Leistungen können sie jede Saison eine Stufe aufsteigen. Und bei Roland Gerber stimmen die Leistungen: Er habe viel Fingerspitzengefühl und könne den Schritt zum Profischiedsrichter schaffen, heisst es im Hockey-Guide 2023/24, der «Bibel» des Schweizer Eishockeys. Aufgewachsen ist Gerber in Eggiwil, heute lebt er mit seiner Partnerin in der weiteren Umgebung von Bern. Head-Schiedsrichter ist für ihn ein zeitaufwändiger Nebenjob. Auch hauptberuflich ist der 39-Jährige stark eingespannt. Zusammen mit seinem Bruder führt er eine Transportfirma mit mehreren Mitarbeitenden und Fahrzeugen. Befördert werden Lebensmittel und Stückgut aller Art. Roland Gerber ist für die komplette Administration verantwortlich und sitzt regelmässig selbst am Steuer. Schiedsrichter zu sein, sei eine willkommene Abwechslung zum Beruf, sagt Gerber. Schon während der Spielerkarriere hatte der gelernte Automech stets einen Nebenjob. Mal arbeitete er in einer Autowerkstatt, mal auf dem Bau oder in der Buchhaltung. Später machte er die Ausbildung zum eidgenössischen technischen Kaufmann. «Eishockey spielen kannst du nun mal nicht bis 65», sagt Gerber. «Deshalb war es für mich wichtig, immer auch einen Fuss in der Realität zu haben und für später vorzusorgen.»


Die Motivation

Nach seinem Rücktritt als Spieler half Gerber zwischenzeitlich als Materialwart bei den SCL Tigers. Schiedsrichter zu werden, reizte ihn dann aber noch mehr. «Du bist nach wie vor Teil des Spiels, erlebst die Dynamik aus erster Hand – das ist cool», sagt er. Dass er selbst Spieler war, sei ein Vor- wie auch ein Nachteil. «Einerseits kann ich mich gut in die Spieler hineinversetzen, verstehe, wenn sie in gewissen Situationen emotional reagieren.» Andererseits habe er sich auch schon dabei ertappt, «zu sehr ein Auge zuzudrücken.» Das sei vor allem anfänglich vorgekommen.

So unaufgeregt und klar sich Roland Gerber im Gespräch ausdrückt, so leitet er auch den Match Olten gegen Visp. Im zweiten Drittel geht Visp mit 1:0 in Führung, es kommen etwas Emotionen ins Spiel. Zusammen mit seinen Kollegen in den schwarz-weiss gestreiften Trikots behält Gerber aber die Übersicht. Elegant bewegt er sich auf den Schlittschuhen, antizipiert, wohin der Puck als nächstes kommt und welche Wege die Spieler gehen. So steht er nie im Weg. Er sagt kein Wort zu wenig und kein Wort zu viel.


Die Zukunft

Mehrere Spieler hat Gerber schon während seiner Zeit als Spieler erlebt. «Die Kommunikation ist einfacher, wenn man einander kennt», sagt er. Doch sei auch die Erwartungshaltung höher. «Zurecht», wie er anfügt. Denn Roland Gerber will sich weiterentwickeln. Sein Hauptziel ist der Schritt in die höchste Liga, die National League. Falls sich mal die Chance böte, hauptberuflich Schiedsrichter zu werden, «würde ich mir das sicher überlegen». Und wie jeder Spieler träumt auch er von Einsätzen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Die Gegenwart indes heisst Swiss League. Visp siegt in Olten 1:0. «Es war mehrheitlich ein faires, sauberes Spiel», bilanziert Gerber. Nach dem Match geben er und seine Schiedsrichterkollegen einander Feedback, schauen die heikelsten Szenen im Video an und tauschen sich mit dem Supervisor aus, ihrem Coach, der das Spiel auf der Tribüne verfolgt hat. Der Oltner Materialwart mit dem schwarzen Pullover und den kurzen Hosen ist derweil am Aufräumen. Auch er weiss: Olten hat nicht verloren, weil Roland Gerber und Co. «Seich» gepfiffen hätten. Sondern weil die Stürmer kein Tor geschossen haben.

05.01.2024 :: Markus Zahno (maz)