Selbst vor dem Bundeshaus wurden Kartoffeln angepflanzt. / Bild: zvg
Mirchel: Im Zweiten Weltkrieg setzte der in Mirchel geborene Friedrich Traugott Wahlen im Auftrag des Bundesrates seinen Plan einer Anbauschlacht um. Was können wir daraus lernen?
Der Film «Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen und die Anbauschlacht» aus dem Jahr 2006 wurde von der Volkshochschule Oberemmental in Langnau gezeigt. Der anwesende Hauptautor Ernst Wüthrich – auch er aufgewachsen als Bauernsohn im Emmental – hatte viele seiner Informationen aus erster Hand. Sein Vater war ein Freund des angehenden ETH-Agrarprofessors und späteren Bundesrates Friedrich Traugott Wahlen. Damit hatte er Zugang zu den letzten Zeitzeugen der Anbauschlacht und konnte einige dafür gewinnen, ihre Erlebnisse im Film zu schildern. So entstand zusammen mit den Ausschnitten aus der Schweizerischen Filmwochenschau, die ab 1940 das wöchentliche Geschehen in der Schweiz zeigte und kommentierte, ein überaus wertvolles Zeitdokument.
Im Anschluss an den Film hielt Ernst Wüthrich ein Referat, in dem er das Wirken von Friedrich Traugott Wahlen würdigte und die Brücke zwischen den damaligen Aspekten und der aktuellen Diskussion zur Versorgungssicherheit der Schweiz schlug.
Anbaufläche effizienter nutzen
Im Zweiten Weltkrieg war die neutrale Schweiz von feindlichen Mächten umzingelt. Importe waren nur noch sehr begrenzt möglich. Es drohte eine Hungersnot. In dieser Situation entwarf der 1899 in Mirchel geborene Friedrich Traugott Wahlen im Auftrag des Bundesrates den Plan einer Anbauschlacht, mit welcher die Versorgungssicherheit der Schweiz gewährleistet werden sollte. Der Kerngedanke war, die Fläche für Ackerbau zulasten von Gras und Futtergetreide beziehungsweise Milch und Fleisch zu vermehren. Mit Kartoffeln, Bohnen und Erbsen konnte pro Hektare ein Vielfaches an direkten Kalorien erzeugt und wesentlich mehr Menschen ernährt werden als mit Milch und Fleisch, wofür grosse Flächen Grasland und Futtergetreide benötigt werden. Die Bauernfamilien wehrten sich anfänglich dagegen, weil die Anbauschlacht für sie viel Mehrarbeit bedeutete, zudem viele Landwirte der Mobilmachung Folge leisten mussten und ihre Pferde von der Armee zwangsrekrutiert wurden. Friedrich Traugott Wahlen suchte deshalb übers Radio die Unterstützung der breiten Bevölkerung. Das Motto lautete: «Brot für uns alle aus eigenem Boden. Anbauen statt hungern.»
Die Bauern wurden in der Folge mit freiwilligen und verordneten Landdienst-Einsätzen unterstützt. Der öffentliche Raum wie auch private Gärten wurden als Anbauflächen genutzt, Sümpfe dafür trockengelegt und Waldstücke gerodet. Die Anbauschlacht löste landesweite Solidarität und «geistige Landesverteidigung» aus. Der Selbstversorgungsgrad konnte von 50 auf 72 Prozent gesteigert werden. Die knapp gewordenen Lebensmittel Fleisch und Butter mussten allerdings rationiert und mittels Lebensmittelmarken gerecht auf die Bevölkerung verteilt werden.
Die Situation heute
Heute ist unsere Versorgungssicherheit erneut ein Thema. Angesichts des Ukrainekriegs, gegenseitiger Sanktionen, unterbrochener Lieferketten und geopolitischer Verschiebungen bestehe aufgrund unserer Abhängigkeit vom Ausland Handlungsbedarf, sagte Ernst Wüthrich in seinem Referat. Aber auch die Klimaveränderung sowie die Forderung nach einer ressourcenschonenden Landwirtschaft zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität erforderten ein Umdenken. Dass zudem heute eine doppelt so grosse Bevölkerung mit weniger Landwirtschaftsfläche versorgt werden müsse, mache einen möglichst hohen Grad an Selbstversorgung nicht einfacher. Trotzdem zeige das Prinzip der damaligen Anbauschlacht der Landwirtschaft einen möglichen Weg auf, so Wüthrich. «Der reduzierte Konsum von Fleisch und tierischen Fetten zugunsten von Gemüse und anderen kalorienreichen Ackerfrüchten mit wertvollen Nahrungsbestandteilen würde es erlauben, mit viel weniger Wasserverbrauch weit mehr Menschen pro Hektare zu ernähren.» Dafür brauche es aber vorab eine Kampagne zur Sensibilisierung der Konsumenten.