Kanton Bern: Die Kantone Bern und Zürich prüfen, wie bereits in der Untersuchungshaft auf eine Wiedereingliederung von inhaftierten Personen hingewirkt werden könnte.
Für Personen, die sich in Untersuchungshaft (U-Haft) befinden, gilt die Unschuldsvermutung. Dies, weil sie noch kein Gericht verurteilt hat. Dennoch sind die Haftbedingungen restriktiv mit stark eingeschränkten Kontakt- und Betätigungsmöglichkeiten. Damit wollen die Strafverfolgungsbehörden verhindern, dass die einer Straftat verdächtigten Personen sich mit Beteiligten absprechen, Beweise vernichten, Zeuginnen oder Zeugen manipulieren oder Opfer kontaktieren und so den späteren Gerichtsprozess beeinflussen können.
«Ein so striktes Setting bringt aber Gefahren mit sich», schreiben die Regierungsräte der Kantone Bern und Zürich in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Es bestehe das Risiko von Haftschäden, und es erschwere die spätere Wiedereingliederung ins Leben in Freiheit. Deshalb arbeiteten die Kantone Bern und Zürich seit längerem daran, die Haftbedingungen in ihren Untersuchungsgefängnissen besser an die verschiedenen Bedürfnisse anzupassen. So könne sich die Mehrzahl der Personen in U-Haft bereits heute durchschnittlich bis zu acht Stunden auf ihrer jeweiligen Abteilung frei bewegen. Man spricht von Gruppenvollzug. Zudem gebe es Möglichkeiten, Bildungsangebote zu nutzen, einer Arbeit nachzugehen und Sport zu treiben.
Haftschäden entgegenwirken
Nun gehen die beiden Kantone einen Schritt weiter. In einem gemeinsamen Modellversuch wollen sie erproben, wie sich die Untersuchungshaft noch konsequenter auf die Vermeidung von Haftschäden ausrichten lässt. «Wir wollen inhaftierte Personen gezielt darin unterstützen, ihre vorhandenen Ressourcen – etwa den Beruf, die Wohnung oder die Beziehungen – zu erhalten. So verbessern wir die Voraussetzungen für die spätere Wiedereingliederung», sagt die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr, Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern. Gleichzeitig sollen Inhaftierte die Möglichkeit erhalten, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, etwa um ihren Alltag selbstständig zu strukturieren.
«In diesem Modellversuch schauen wir, was es braucht, damit möglichst viele persönliche Fähigkeiten erhalten bleiben, sodass diese nach der Entlassung oder später im Strafvollzug nicht neu aufgebaut werden müssen», sagt der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller.
Wissenschaftlich begleitet
Der Modellversuch umfasst sechs Handlungsfelder: den Eintritt und die damit verbundenen Sofortmassnahmen, das Case Management, die Angehörigenarbeit, das Übergangsmanagement, Massnahmen zur Stress- und Problembewältigung sowie das Schulungs- und Trainingsprogramm für Mitarbeitende. Für Letzteres wird das Gefängnis Meilen als Trainingszentrum zur Verfügung stehen.
Das Bundesamt für Justiz hat die Durchführung des wissenschaftlich begleiteten Modellversuchs bewilligt und beteiligt sich daran. Der Versuch dauert bis 2027. Die beteiligten Kantone wollen damit herausfinden, welche positiven Effekte die verschiedenen Massnahmen auf die Gesundheit und schliesslich auf die Resozialisierung von inhaftierten Personen haben. Ein weiteres Ziel ist, dass die Massnahmen bei Erfolg auf andere Kantone übertragbar sind. Ein Forschungsteam von ETH und Universität Zürich wertet den Modellversuch wissenschaftlich aus.
«Von einer erfolgreichen Wiedereingliederung profitieren alle: die von einer Haft betroffenen Personen, ihre Angehörigen und schliesslich die ganze Gesellschaft», sind die Regierungsräte der Kantone Bern und Zürich überzeugt.