Bildschirmrätsel

Ferien! Ich sitze im Postauto Richtung Walliser Berge und gehe gedanklich nochmals meinen Rucksack durch. Inzwischen kenne ich sie schon, die leichte innere Anspannung, die sich erst dann ausbreitet, wenn ich unterwegs bin und endlich aufatmen könnte. Sind die Ersatzbatterien für die Stirnlampe eingepackt? Und hätte ich nicht besser die grössere Trinkflasche mitnehmen sollen? Es ist jedes Jahr dasselbe. Und wie immer entscheide ich mich dagegen, den Rucksack nochmals auszu­packen, um dann festzustellen, dass die ängstliche Kontrolle gar nicht nötig gewesen wäre. Ich schaue also – wie ich mir das während meiner vielen Fahrten in Bussen angewöhnt hatte – auf den Bildschirm vorne an der Busdecke. Die neusten Nachrichten huschen vorüber. Immer wieder, wie ein Weltenkarussell. Man steigt irgendwo ein: bei
den Nachrichten über die Waldbrände im Wallis, der angespannten politischen Situation in Nordkorea; bei der Werbung für neue Pflegekräfte in der Psychiatrischen Klinik Bern, dem Wetter für die nächsten Tage; bei der Wissensrubrik, der nächsten Haltestelle oder dem Buch­stabenrätsel, bei dem der Bildschirm hoffentlich nicht zuerst das Lösungswort einblendet. Vielleicht geht es vielen Fahrgästen ähnlich: Ist man einmal ins Bildschirmkarussell eingestiegen, kommt man kaum mehr raus. Und zufrieden bin ich erst dann, wenn das Worträtsel gelöst ist – zugegeben, eine kleine Befriedigung angesichts der tragischen, ungelösten Weltnachrichten. Ich rätsle auch jetzt wieder: NEVRUTARE. Es müsste ­eigentlich etwas mit Sommerzeit oder Ferien zu tun haben. Ich schaffe es nicht beim ersten Durchgang. Um nicht vorzeitig das Lösungswort sehen zu müssen, schaue ich aus dem Fenster und starte zum nächsten Nachrichtenkarussell: Wie furchtbar, dass man die Waldbrände nicht sofort stoppen konnte im Wallis – und schon wieder schwinden die Gletscher. Hoffentlich gibt es eine weise Lösung im Nord­korea – Konflikt…Und jetzt sehe ich es: VERTRAUEN. ­Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich schmunzle über mich und bin gleichzeitig dankbar. Dieses Wort müsste mehr über unsere Bildschirme huschen, denke ich – äusserlich und innerlich.

24.08.2023 :: Patrizia Weigl