Simon Kammermann (links) schätzt das Tagesstruktur-Angebot bei Susanne und Peter Wüthrich. / Bild: Kathrin Schneider (skw)
Langnau: Simon Kammermann besucht bei der Familie Wüthrich ein Tagesstruktur-Angebot. Der junge Mann ist glücklich, in der Gohl eine für ihn passende Umgebung gefunden zu haben.
Simon Kammermann ist gerne draussen. Aufgeregt wandert er auf der Terrasse des Bauernhofs hin und her und kommentiert das Geschehen. Je nach Situation winkt er wild mit den Armen oder ruft laut, aber im Moment lächelt er und wirkt glücklich. Seine Mutter Annemarie Kammermann erzählt davon, wie Simon letztes Jahr, nach dem Besuch der Heilpädagogischen Schule in Langnau – er ist Autist – eine Anschlusslösung brauchte: «Wir wollten Simons Wünsche berücksichtigen. Es war ihm wichtig, am Abend jeweils nach Hause zu kommen.» Fündig wurden sie bei der Organisation WoBe, die Wohn- und Betreuungsangebote in Familien vermittelt (siehe Kasten).
Freiraum und Geborgenheit
Susanne und Peter Wüthrich bieten seit 2015 Betreuungsplätze an. Sie hätten länger mit dem Gedanken gespielt, sich in diesem Bereich zu engagieren, sagt Peter Wüthrich. Und als dann die Wohnung im ersten Stock des Bauernhofs frei wurde, packten sie die Chance. Simon Kammermann besucht an zwei Tagen in der Woche das Tagesstruktur-Angebot bei den Wüthrichs. Die meisten Gäste, die vermittelt wurden, haben auch dort übernachtet. Im Moment lebt neben Simon ein Dauergast auf dem Hof. Wichtig sei den Bewohnerinnen und Bewohnern, hier einen Ort zum Wohnen, Essen oder eine Tagesstruktur zu erleben, erzählt Peter Wüthrich. Wenn möglich könnten die Gäste auch bei einzelnen Arbeiten auf dem Bauernhof einbezogen werden, aber dies immer ohne Druck oder Erwartung.
Lieber Tiere als der Traktor
Susanne Wüthrich schildert, wie Simon ihr beim Kochen hilft. Er liebe es, den Mixer zu bedienen oder Kartoffeln zu rüsten. Die Rüstabfälle der Rüebli bringe er jeweils den Kaninchen. «Wir konnten ihm auch zeigen, dass er die Abfälle an alle Kaninchen verteilt und nicht nur einem gibt», sagt die Bäuerin und lacht. Simon liebt Musik und es ist ihm wohl bei den Tieren. Wenn ihn Peter Wüthrich aber zu einer Fahrt mit dem Traktor einlade, dann antworte er meistens: «Ich habe gerade keine Zeit» oder «Da ist nicht genug Platz für mich». Namen oder Orte vergesse Simon selten. Da könne es schon vorkommen, dass er Gäste mit ihrem Namen anspreche, die den Hof vor Monaten das letzte Mal besucht hätten. Simon brauche einfach einen überschaubaren Rahmen, betont seine Mutter Annemarie Kammermann. «In einer grösseren Institution wäre er völlig überfordert.»
Chemie muss stimmen
Sarina Schönberg arbeitet als Beraterin bei der WoBe und begleitet den Gast, dessen Familie sowie die Gastfamilie. Sie freut sich, dass es Simon so wohl ist auf dem Betrieb und dass die getroffene Lösung für alle Beteiligten stimmt. Nach einer ersten Anfrage bei einer möglichen Gastfamilie organisiert die WoBe jeweils Schnuppertage und die Finanzierung muss geregelt werden. Susanne und Peter Wüthrich haben selbst drei Kinder, das jüngste wird 15 Jahre alt. Susanne Wüthrich: «Uns als Familie muss es wohl sein mit den Gästen, das macht sonst keinen Sinn.» Es sei für sie und ihre Kinder jeweils eine wichtige Erfahrung, mit den verschiedenen Gästen zu leben und deren unterschiedlichen Bedürfnisse zu respektieren. Natürlich erfordere eine solche Aufgabe auch Geduld, ergänzt Peter Wüthrich. Aber der Humor von Simon sei ansteckend.
Wüthrichs schätzen den Nebenverdienst, bei dem man nicht auswärts arbeiten muss. Und Simon Kammermann freut es, dass er in der Gohl individuell betreut und gefördert wird – und er für seine Eigenheiten und Stärken auch bewundert wird. Simon liebt zum Beispiel Kirchenglocken. Er nimmt deren Klang auf und kann sie der betreffenden Gemeinde zuordnen. Überhaupt habe Simon seit letztem Jahr grosse Fortschritte gemacht, erzählt seine Mutter. Im Moment übt sie mit ihm, den Weg vom Zuhause in Zäziwil in die Gohl selbständig mit Bahn und Bus zu bewältigen. «Simon wird das packen», meint sie zuversichtlich.