Eine Aufnahme der einstigen Groppihütte. Gesömmert wurde während Jahrzehnten ausschliesslich Simmentaler Fleckvieh. / Bild: zvg
Biglen: Wie schafften es Landwirte aus der Region Biglen vor 100 Jahren im Berner Oberland
ein Grundstück mit einer Fläche von sagenhaften 20 Quadratkilometern zu erwerben?
Es liest sich wie ein Krimi. Die Geschichte, als Bauern aus der Region Biglen in den Besitz einer grossen Lenker Alp gekommen sind. Und der Zufall spielte auch eine Rolle. Denn, hätte der Sek-Lehrer aus Biglen, Edi Berger, nicht in jungen Jahren in St. Stephan unterrichtet, würden heute auf dieser Alp keine Gusti aus Biglen und umliegenden Gemeinden gesömmert. «Als junger Lehrer war Berger einige Male auf der Iffigenalp und lernte den Besitzer Wilhelm Hildebrand kennen», berichtet Fritz Hofmann, der die Jubiläumsschrift «100 Jahre Iffigenalpgenossenschaft Biglen» verfasst hat. Dank der Bekanntschaft erfuhr Berger im Herbst 1923, dass der gebürtige Deutsche Hildebrand die Alp altersbedingt verkaufen wollte. «Berger amtete auch als Lebensmittelinspektor und hatte einen guten Draht zu den Bauern», erklärt Hofmann. Und viele Bauern waren interessiert, das Jungvieh auf einer eigenen Alp zu sömmern.
Rasch handeln
Wie sollte der Kauf gelingen? Zum einen waren da die Preisvorstellungen Hildebrands. Er hatte in Gebäude und Strassen investiert und verlangte 400´000 Franken (gemäss Landesindex der Konsumentenpreise des Bundesamts für Statistik würde dies heute um 2,7 Millionen Franken entsprechen). Zum andern hatte sich herumgesprochen, dass der ehemalige deutsche Grossmüller die Alp abstossen wollte. Es musste also schnell gehen. «Der damalige Tierarzt Gottfried Zulauf weibelte bei seiner Kundschaft», berichtet Fritz Hofmann. Unterstützung erhielt er von Fritz Schneider, Grossrat, Landwirt und Inhaber der Baumaterialienhandlung in Biglen, sowie von Regierungsstatthalter Ernst Herrmann. Am 4. November 1923 gründeten 90 Mitglieder, meist Bauern mit grösseren Betrieben, die Iffigenalpgenossenschaft. Die Verhandlungen mit Wilhelm Hildebrand verliefen rasch, hart und erfolgreich. «Am 19. Dezember 1923 fand im Konferenzzimmer im Hotel Schweizerhof, Bern, die Verurkundung statt», steht in der Jubiläumsschrift. Der Kaufpreis konnte noch etwas heruntergehandelt werden, betrug aber immer noch stolze 375´000 Franken. «Damit ist eine der schönsten Alpen des Simmentals in den Besitz der Iffigenalp–Genossenschaft übergegangen», hielt der Alpschreiber fest. «Wohl ist der Viehzüchter des Simmentals damit nicht zufrieden. (...) Wir wollen den Simmentalern nicht schaden, im Gegenteil, wir möchten in fairem Verkehr mit der ortsansässigen Bevölkerung an der Lenk (...) leben.» Dass die Lenker die Alp nicht selber erwerben konnten, hatten sie sich auch selber eingebrockt: Sie verwehrten Hildebrand die Ehrenbürgerschaft, was diesen verdrossen haben soll. So legten die Oberländer den Alpbesitzern aus dem Emmental zu Beginn den einen oder anderen Stein in den Weg. Doch dies sei längst Geschichte, hält der Lenker Gemeindepräsident René Müller in seinem Grusswort fest.
Für die Bauern aus Biglen ist die Rechnung auch nicht ganz aufgegangen. Sie hatten eine eigene Alp und zeichneten dafür 230 Anteilscheine à 1000 Franken (davon je 800 Franken als Obligation). «Dieses Kapital wollte man grosszügig verzinsen», sagt Fritz Hofmann. «Aber die Gewinne wurden stets vollumfänglich in die Alp investiert. Es gab nie Zins.»
Nachts Gusti verladen
Die Alp weist eine Fläche von nicht weniger als 20 Quadratkilometern auf. «Davon ist aber nur rund die Hälfte nutzbar», betont Beat Schüpbach. Der pensionierte Landwirt amtet seit 2002 als Präsident und nimmt regelmässig die fast 100 Kilometer von Biglen auf die Iffigenalp unter die Räder. «Es gab immer wieder Herausforderungen», meint Schüpbach. Gebäude wurden Opfer von Bränden; Lawinen und Erdrutsche gingen nieder. «Positiv für die Genossenschaft war sicher, dass 1927 die Vorweide Neuenrad in der Gemeinde Zweisimmen gekauft und die Sömmerungszeit auf rund 120 Tage verlängert werden konnte», sagt der Präsident. In Neuenrad grast das Vieh die ersten und letzten drei Wochen. Von den Genossenschaftern verbringen rund 200 Gusti den Sommer auf der Alp. Während die Tiere heute per LkW transportiert werden, fuhren diese einst per Bahn. «Ich erinnere mich noch, dass wir die Gusti jeweils um 03.30 Uhr in Grosshöchstetten in die Bahn einladen mussten», so Schüpbach. Der Marsch mit den Tieren durch die stockfinstere Nacht sei alles andere als einfach gewesen.
Den Sommer auf der Iffigenalp verbringen durften übrigens lange nur Tiere der Rasse Simmentaler. «Einige Genossenschafter wie auch die Älpler, die meist aus dem Simmental stammten, wehrten sich gegen andere Rassen», berichtet Beat Schüpbach. Erst 1999 hat die Genossenschaft beschlossen, künftig auch Braunvieh und Holsteiner zu alpen. Das kam vielen Landwirten entgegen, welche längst auf die milchbetonteren Rassen gewechselt hatten.
Berge, Vieh und Touristen
Die Älpler haben Anrecht, ihr Vieh mit auf die Alp zu nehmen. Insgesamt verbringen rund 300 Stück Vieh den Sommer auf der Iffigenalp, wobei sowohl auf Vorderiffigen wie auch im Groppi Alpkäse fabriziert wird. Und dann erfreuen sich auch viele Touristen an der tollen Bergwelt. Davon profitiert auch die Genossenschaft, welche das Bergrestaurant samt Dépendance während den Sommermonaten verpachtet.
Wie sieht er die Zukunft der Alp? «Aktuell gibt es Diskussionen um Mountainbike-Routen», sagt Beat Schüpbach. «Die Alpwirtschaft und den Tourismus auf einen Nenner zu bringen ist anspruchsvoll.» Auch werde es nicht einfacher, unter den Genossenschaftern Leute zu finden, die sich Zeit nehmen, um auf der Alp etwa Blacken und Germelen zu jäten, sagt Beat Schüpbach, welcher regelmässig anpackt. Die eindrückliche Jubiläumsfeier vom 8. Juli habe aber gezeigt, dass die Iffigenalp den Genossenschaftern immer noch viel bedeute. «Das stimmt mich positiv.»