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Von Reetdächern und Langohren

Es ist früh am Morgen. Ich stehe weit oben über dem Gohlgraben und lasse den Blick über das Tal schweifen. Saftig grünes Gras, stahlblauer Himmel – was für ein herrlicher Tag das heute wird. Kaum fertig gedacht, surrt es hinter mir und die Drohne hebt blinkend ab in Richtung des wolkenlosen, tiefblauen Himmels. Nach einer nicht enden wollenden Regenperiode sind endlich ein paar trockene und warme Tage vorausgesagt. Deshalb wird jetzt überall gemäht und Heu gemacht. Für mich als Helferin bei der Rehkitzrettung und Jungjägerin bedeutet das eine anstrengende Zeit. Dank Drohnen mit Wärmebildkameras finden wir die kleinen Kitze meist problemlos. Abgedeckt mit Holzharassen und Gras können die jungen Rehe die Mahd abwarten, um danach gesund und munter zur Mama zu rennen. Jahr für Jahr schöne und herzerwärmende Momente. Anders ist in diesem Jahr einzig, dass das Gras viel fetter und dichter ist als gewöhnlich. Ein Faktor, der die Suche nach den Kitzen erheblich erschwert. Die hohen schweren Grashalme legen sich wie Reetdächer über die Kleinen. Ein Phänomen, das die Suche erheblich erschwert und uns beunruhigt. Denn wir möchten vor allem eines: Rehkitze heil durch die Mähsaison bringen. Und nicht nur Rehkitze. Manchmal gehen uns auch Feldhasen ins Netz. Sie werden ebenfalls unter einem Harass gesichert und nach der Mahd wieder freigelassen. Noch immer haben die hübschen Langohren einen schweren Stand. Das Feldhasenmonitoring 2020 ergab, dass in der Schweiz nur noch gerade 2,72 Feldhasen pro 100 Hektaren leben. Kein Wunder, denn Hasen brauchen natürliche Verstecke, doch finden sie diese häufig nicht mehr. So werden insbesondere Junghasen für Füchse, Greifvögel, Krähen, Katzen oder Hunde zur leichten Beute. Deshalb gehört es auch zu den Hegearbeiten der Jägerschaft, Hecken aufzuwerten oder neue anzulegen. Doch scheinen die Massnahmen aktuell noch nicht so richtig zu greifen. Deshalb freut es mich jeweils umso mehr, wenn ich auf den Emmentaler Hügeln ab und zu ein hoppelndes Langohr entdecke. Oder, wenn uns bei einem Rettungseinsatz ein solches ins Netz geht. Ein schönes Gefühl, etwas dazu beitragen zu können, dass Hasen und Kitzen nichts passiert. Denn, wenn ich im Rahmen der Jagdausbildung eines
gelernt habe, dann, dass die Natur erbarmungslos und brutal ist. Wenn auch die Rehkitzrettung daran nichts ändern kann, ist es doch ein gutes Gefühl, die Lebenserwartung zumindest einiger junger Wildtiere etwas verlängern zu können. 

08.06.2023 :: Ann Schär