Die 70-jährige Waage mit dem letzten Waagmeister Hans Kunz. / Bild: Rudolf Trauffer (rtt)
Trubschachen: Der Gemeinderat hat entschieden, die alte Viehwaage bei der Mühle ausser Betrieb zu nehmen. Damit verschwindet ein Stück Dorfgeschichte. Ein Rückblick.
Die meisten haben die kurze Pressenotiz des Gemeinderates wohl nicht beachtet, so, wie auch viele den kleinen Anbau auf der Westseite der Mühle vermutlich nie wahrgenommen haben. Den Anbau mit der Gemeindewaage. «Die Waage wurde in den letzten Jahren nur noch selten gebraucht», sagt Hans Kunz, der gegenwärtig noch als Waagmeister amtet. In den letzten zwei Jahren sei sie überhaupt nicht mehr benutzt worden. Deshalb entschied der Gemeinderat, auf die fällige Eichung zu verzichten und die Waage ausser Betrieb zu nehmen.
Wo hat die Waage, dieses Urgestein, seinen Ursprung? Die Antwort ist im Gemeindearchiv zu finden. 1902 beschloss der Gemeinderat Trubschachen eine Viehwaage anzuschaffen, um die Bauern beim Verkauf ihres Viehs zu unterstützen. «Vorher verlief der Verkauf zwischen Landwirt und Viehhändler oder Metzger im sogenannten Über-Hoi-Handel. Beide setzten einen Preis fest, und man versuchte, sich irgendwo dazwischen zu einigen», erklärt der ehemalige Metzgermeister Alfred Reber, der noch selber in Einzelfällen so gehandelt hat. «Oder man mass den Kühen mit einem Messband an einer bestimmten Stelle den Brustumfang.»
Auf Wunsch des Gemeinderates war der damalige Müller J. U. Haldemann bereit, einen kleinen Anbau für die Waage erstellen zu lassen. Die Gemeinde bezahlte fortan einen jährlichen Mietzins und Haldemann wurde als erster Waagmeister angestellt. Damals wurden Kühe und Kälber, die nicht innerhalb der Gemeinde einen Abnehmer fanden, durchwegs mit der Bahn transportiert. Alle mussten vorher bei der Waage vorbei.
Markt in Trubschachen
Nach langem Drängen erhielt Trubschachen 1933 vom Regierungsrat die Bewilligung, jährlich fünf Kleinviehmärkte und einen für Grossvieh auf dem Bahnhofplatz abzuhalten. Da hatte die Waage Hochbetrieb, denn all die Kälber, Schweine, Schafe, Ziegen oder Kühe, die dort verkauft wurden, mussten vorher gegen eine Gebühr gewogen werden. 1952 betrug diese 1.20 Franken für Grossvieh und 70 Rappen für Kleinvieh. Im gleichen Jahr musste die alte Waage durch die heute noch bestehende ersetzt werden. Lieferant von Arx aus Egerkingen empfahl eindringlich das System Balkenwaage, das zuverlässiger sei als eine automatische Waage.
Anstelle der Markttage kam später die wöchentliche Kälberannahme. Hin und wieder gab es da Unstimmigkeiten oder gar Streit, wenn etwa ein Bauer das Wägresultat anzweifelte. In einem Gemeinderatsprotokoll steht, einer habe «behauptet, sein Kalb sei 5 Kilogramm schwerer, er habe es zuhause gewogen. Der Waagmeister entschied, das Gewicht auf der Waage der Landwirtschaftlichen Genossenschaft und derjenigen der SBB nachprüfen zu lassen. Die beiden Messungen stimmten mit dem Resultat der Gemeindewaage überein. Leider ist der Waagmeister durch den Vorfall so in Aufregung geraten, dass er seine Demission eingereicht hat».
Schweine stoppten den Verkehr
Die Waage wurde viele Jahrzehnte vor allem von der Metzgerei Gebrüder Reber benützt, um die angenommenen Schlachttiere wägen zu lassen. Jeden Montagmorgen brachten die Entlebucher Händler Schweine, die einzeln gewogen werden mussten. War eine Schar von 20 bis 30 Tieren bereit, wurde die ganze Herde von den Metzgerei-Angestellten auf der Hauptstrasse zum Schlachthaus bei der Trubbrücke getrieben. Eine Strecke von rund 150 Metern – und die Autos hatten zu warten. Das brauchte manche Hand zum Wehren und Jagen. Man stelle sich das ganze Prozedere im heutigen Morgenverkehr vor!
Peter Berger, der schon als Lehrling bei diesen «Treibjagden» mithelfen musste, erinnert sich: «Wir hoben die Tiere zu zweit von den Lastwagen herunter, denn Rampen hatten die damaligen Fahrzeuge noch keine, und stellten sie auf die Waage. Die Schweine vollführten dabei ein Zeter-Mordio-Geschrei.»
Hochbetrieb an den Ausmerztagen
Noch hektischer ging es bei den sogenannten Ausmerzaktionen zu und her, die fünf bis sechs Mal im Jahr stattfanden. Um die 100 Stück Vieh aus Trub und Trubschachen wurden da jeweils aufgefahren, Tiere, die sich aus den verschiedensten Gründen nicht für die Weiterzucht eigneten. Hinter dem Gemeindehaus wurden sie aufgestellt, von einem Schätzungskomitee eingeschätzt und einzeln versteigert. Viehhändler und Einkäufer von Grossmetzgereien aus der ganzen Schweiz erhandelten die Kühe. Der Bahnhofplatz und die angrenzenden Strassen waren überstellt von Viehtransportern, und ständig trotteten Kühe und ihre Besitzer über die Bahnhofstrasse, denn die Tiere mussten vor dem Verkauf gewogen werden. Schuhmacher Hansruedi Jakob und später Dorfpolizist Christian Wolf waren die Vertrauenspersonen, denen man 1950 bis 1980 das Amt des Waagmeisters übergab. Hansruedi Jakob war bekannt für seine Exaktheit; oft trieb er die Viehhändler, die sich mit ihrer ersteigerten Ware auf den Weg machen wollten, damit fast zur Weissglut.
Subventionierte Ausmerzaktionen gibt es seit den Neunzigerjahren keine mehr. Die Bauern bringen ihr Vieh heute nach Schüpbach in die Markthalle zur freien Vermarktung.Schweine müssen ebenfalls keine mehr gewogen werden, denn geschlachtet wird im Schlachthaus an der Trub seit Jahrzehnten nicht mehr. Ohnehin wird heute überall nach Schlachtgewicht abgerechnet. Daher kann die Waage in Trubschachen
getrost in den Ruhestand versetzt werden.