Lange Tradition, stets neue Themen

Lange Tradition, stets neue Themen
1400 Grad heiss ist das Eisen, das gegossen wird. / Bild: zvg
Oberburg: Schweizweit ist die Zahl der Giessereien gesunken. In Oberburg findet man gleich zwei solche Betriebe, eine davon ist die vor 180 Jahren gegründete Nottaris AG.

«Warum es gerade in Oberburg so viele Giessereien hat, konnte mir noch niemand erklären», sagt Patrick Nottaris. Nebst seiner Firma ist auch die Giesserei Hegi AG in Oberburg ansässig, «und bis in die Sechzigerjahre hatte es hier gar noch eine dritte», sagt der Geschäftsführer der Nottaris AG, der damals noch gar nicht geboren war. Die Anfänge seiner Unternehmung reichen bis in das Jahr 1842 zurück (siehe Kasten). «Der Gründer war mein Ururururgrossvater», erklärt Nottaris, der seinerseits seit 1998 im Unternehmen tätig ist. Dass er dieses dereinst übernehmen werde, habe sich so ergeben. «Es war fast ähnlich wie bei ­einem Bauernheimet», meint er. «Am ­Mittagstisch war halt nicht das Heimet, sondern die Giesserei das stets dominierende Thema.»


Immer ein Auge auf den Einkaufspreisen

Die Themen am Mittagstisch dürften auch der aktuellen Generation – nebst Patrick Nottaris ist auch dessen Frau Anita in der Firma tätig – nicht ausgehen. «Wir sind logischerweise stark vom Ausland abhängig. Der Einkauf ist ein sehr wichtiger Posten. Wir importieren sowohl das Roheisen, so genannte Masseln, wie auch das Koks, womit wir unsere beiden Öfen einheizen», erklärt Patrick Nottaris. Beim Koks, pro Jahr verheizt die Giesserei mehrere hundert Tonnen davon, sei der Preis zeitweise 150 Prozent höher gewesen als in «normalen» Zeiten. «Ich hatte Bedenken, dass wir nicht genügend Koks beschaffen können.» Aus diesem Grund habe man ein viel grösseres Zwischenlager angelegt. «Wir haben so viel Koks eingekauft, dass wir sogar Lagerräume hinzumieten mussten.» Und beim Eisen, hat sich die Lage weiter entspannt? «Die Preise steigen bereits wieder», sagt Patrick Nottaris ohne nachdenken zu müssen. «Im Vergleich zu vor Corona ist der Preis gut doppelt so hoch.» 

Trotz aller Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Rohstoffe: Der Betrieb läuft. In den Fabrikationshallen werden Formen vorbereitet, gestern gegossene Stücke weiter verarbeitet und für die Auslieferung auf Paletten gestapelt. Pro Giesstag werden bis zu 20 Tonnen Eisen auf 1400 Grad erhitzt und dann gegossen. Die Firma habe zwar noch etwas freie Kapazität, aber ein gut gefülltes Auftragsbuch, berichtet der Geschäftsführer beim Rundgang durch den Betrieb. «Weil wir für verschiedenste Kunden und Branchen tätig sind, können wir in Krisen besser bestehen.»

Corona und der Krieg in der Ukraine waren nicht die ersten internationalen Wirren, die sich auf die Giesserei in Oberburg ausgewirkt haben. In schlechter Erinnerung blieb Patrick Nottaris der 15. Januar 2015. Damals hat die Nationalbank den Franken an den Euro angebunden. «Auf einen Schlag war die Konkurrenz aus dem nahen Ausland 40 Prozent günstiger als wir.» Damals sei es in der Firma Nottaris auch zu Kurzarbeit und Entlassungen gekommen. Andere Schweizer Giessereien hätten gar aufgeben müssen. «2015 war nach den 1930er-Jahren wohl die schlimmste Zeit», bilanziert er. Derzeit finde man in der Schweiz noch zehn Giessereien in der Grösse der beiden Oberburger Betriebe, daneben noch zwei grössere.

Im Bereich Industrieguss produziert die Nottaris AG rund 80 Prozent für Schweizer Kunden. Anhand der Gussformen und der fertigen Stücke kann der Laie oft nicht erkennen, für was diese später gebraucht werden. «Das sind Sockel, die später für Operationstische gebraucht werden», sagt Nottaris bei massiven, rechteckigen Stücken. «Das hier sind Gehäuse für Turbinen und diese hier werden für Getriebe genutzt.» Wie kann sich die Nottaris AG von der nach wie vor günstigeren ausländischen Konkurrenz abheben? «Durch Zuverlässigkeit, Genauigkeit und die Bereitschaft, auch Aufträge mit kleinen Stückzahlen zu übernehmen. Man kann bei uns ein Stück giessen lassen, während ausländische Betriebe oft nur an grossen Serien interessiert sind.»


Schachtdeckel soweit das Auge reicht

Ein wichtiges Standbein ist der Bereich Bauguss. Das mit Abstand bekannteste Produkt sind Schachtdeckel. Wer nun aber denkt, dass davon 15 oder 20 verschiedene Typen hergestellt werden, der irrt. «Wir produzieren um 800 verschiedene Artikel», weiss der Geschäftsführer. «Und etwa jede zweite Woche kommt ein neuer dazu. Das macht die Arbeit spannend.» Eine der neusten Kreationen aus dem Hause Nottaris ist ein Schachtdeckel, der extra für den so genannten Flüsterbelag entwickelt wurde. «Dank der speziellen Oberfläche entsteht praktisch kein Geräusch, wenn man über den Schacht fährt.» Viele Gemeinden lassen in Oberburg auch individuelle Deckel, mit dem Wappen, giessen. Auf einem Stapel sind solche mit dem Berner Bären zu sehen. Und wo werden jene verbaut? «Dieses Wappen ist von Le Locle», weiss Patrick Nottaris. Hunderte Deckel sind im Lager aufgeschichtet. Auch wenn nach wie vor die meisten in der Schweiz verbauten Schachtdeckel von Importeuren eingeführt würden, werde die Verfügbarkeit ihrer Artikel mehr und mehr geschätzt, sagt Nottaris. Dies hätten ihm die Rückmeldungen des kürzlich durchgeführten Tags der offenen Türe gezeigt.

In der Halle nebenan befindet sich das Lager der Modelle, mit denen die Gussformen erstellt werden. 4000 Modelle lagern hier. Es sieht aus wie in einer Schreinerei. «Wir sind ein sehr vielseitiger Betrieb», meint Nottaris auf das Personal angesprochen. Fast ständig ist an dem Firmengebäude mitten in Oberburg eine Plane mit der Aufschrift «Offene Stellen» zu lesen. «Fachleute sind generell rar», meint der Geschäftsführer dazu. «Wenn man ein spezieller Betrieb ist, wird es noch schwieriger.» Giessereifachleute würden sie oft international suchen. So arbeiten in Oberburg zehn Personen, die ihr Handwerk in polnischen Giessereien erlernt haben. In der Schweiz würden zwar Lehrstellen angeboten, aber das Interesse der Jugendlichen sei gering. In der Giesserei Nottaris hat schon lange kein Lehrling mehr abgeschlossen.

Dass der Betrieb auf eine lange Tradition zurückblicken kann, lässt sich auch an den verschachtelten, immer wieder angepassten Gebäuden ablesen. «Jede Generation hat wieder investiert, damit besser gearbeitet werden kann», sagt Patrick Nottaris.

Angefangen im Jahr 1842

Die Giesserei Nottaris AG wurde 1842 durch den Juristen und Stadtschreiber Ludwig Johann Schnell gegründet.

Bereits im 19. Jahrhundert haben die Mitarbeiter der Giesserei konische Triebräder hergestellt und die Fabrikation von Warmluft-Ventilationsöfen vorangetrieben. Daneben baute die Unternehmung die Sparte Industrieguss aus.

1985 ging die Firma in den Besitz von François Nottaris über. Unter seiner Leitung konnte der Industrieguss-Sektor erweitert werden, aber auch der Bauguss-Sektor (Schachtdeckel) gewann an Bedeutung. 2010 wurde die Firma neu strukturiert. Unter dem Dach der Holding AG befindet sich heute die Nottaris AG als Giessereibetrieb sowie die Nottaris Bauguss AG.

Im Januar 2016 wurde die Unternehmung an Patrick Nottaris übergeben. Die Firma, welche 50 Personen beschäftigt, befindet sich weiterhin im Familienbesitz.

25.05.2023 :: Bruno Zürcher (zue)