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Nafzen im Überschwupper

Neulich staunte ich nicht schlecht, als ein junger Mann in einer Talkshow erklärte, er sei ein Go-with-the-flow-Typ, als der Moderator wissen wollte, was er beruflich vorhat. Der Typ hätte auch sagen können, dass er die Dinge auf sich zukommen lässt. Doch eng­lische Redewendungen und Wörter haben offenbar mehr Gewicht. So ist es in gewissen Kreisen auch schick zu sagen: «Ich erinnere das.» Meines ­Erachtens das grösste sprachliche ­Verbrechen, das mir richtig wehtut. Warum muss das «I remember» bitte schön ins Deutsche übersetzt werden? Es heisst «Ich erinnere MICH!», weil erinnern ein Reflexivverb ist, basta. Übrigens ist es heute modern, von Guilty pleasure zu sprechen, wenn man heimlich Helene Fischer hört oder im TV «Sturm der Liebe» schaut. Das gute, alte heimliche Vergnügen hat ausgedient. Regelmässig nimmt die Duden-Redaktion neue Begriffe ins Standardwerk auf – vom Selfie bis zu den Fake News. Was ich spannender finde, sind die Worte, die gelöscht ­wurden. Vom Nafzen ist noch in den 1930er-Jahren die Rede gewesen. Dieses Wort bezeichnete den Zustand, wenn man im Sitzen einnickt. Der Kodaker dagegen ist wahrhaftig von gestern. Seinen Namen verdankt er der ersten erschwinglichen Handkamera, der Kodak Original. Mit ihr machten Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Grossstadtbürger schon bald die Strassen unsicher, ständig auf der ­Suche nach einem geeigneten Motiv. Meistens fanden sie es in Prominenten wie etwa Reichskanzler Otto von Bismarck, der gesagt haben soll: «Man weiss nie, ob man fotografiert oder erschossen wird.»

Es gibt viele Gründe, weshalb Wörter verschwinden. Politische zum Beispiel, wie etwa im Fall des Nazi-Jargons: Gut, dass wir nicht mehr von Rassenschutz oder Volksschädlingen sprechen müssen. Mit der Gleichberechtigung ist die Arztfrau verschwunden und mit dem technischen Fortschritt der Weckapparat. Nein, das ist kein Wecker, sondern war ein Gerät des Unternehmens J. Weck, das bis heute für seine Einkochgläser berühmt ist. Mein Lieblingswort von Anno dazumal ist der «Überschwupper» als Verdeutschung von Pullover.

Die «Agrumen» als Sammelbezeichnung für Zitrusfrüchte sind verschwunden. Früher gab es erstaunlich kompakte Wörter fürs alt werden oder Obst ernten:  Unsere Vorfahren sprachen von «älteln» und «obsten». Peter Graf hat in seinem Buch «Was nicht mehr im Duden steht» wunderbare Worte nach Themenbereichen zusammengetragen. Gut möglich, dass ich die Menschen vor hundert Jahren ­genauso erstaunt angeschaut hätte, wie den Go-with-the-flow-Typ.

17.05.2023 :: Christina Burghagen (cbs)