«Wie war die Schule?», fragte Grosi ihre Enkelin Zoé beim Mittagessen. «Wie immer, gut. Nur dass sie den Dawit jetzt
immer plagen.» – «Dawit? Ist das der Junge aus dem Asylheim?» – «Ja, niemand will mit ihm in die Pause.» – «Und du wohl auch nicht.» – «Ich gehe doch nicht mit Buben in die
Pause!» – «Das war schon so, als ich zur Schule ging. Da war es der Hansruedi.» – «War der auch aus dem Asylheim?» – «Nein, nein, das gabs noch nicht, damals. Er war ein Verdingbub.» – «Verdingbub? Was ist das?» – «Das gibt es heute nicht mehr. Seine Eltern konnten nicht für ihn sorgen, darum wurde er
verdingt, er kam in eine andere Familie und wuchs dort auf.» – «Und darum wurde er gemobbt?» – «Nicht nur. Er stank immer so nach Stall, darum wollte niemand neben ihm sitzen. Und oft schlief er ein während des Unterrichts.» – «Aber warum denn?» – «Er musste halt viel helfen, vor der Schule schon den Stall ausmisten und mit der Milch in die Käserei. Und durfte nie mit den anderen abmachen.» – «Das ist ja schon krass. Der Dawit stinkt wenigstens nicht. Aber er kann noch fast nicht deutsch.» – «Hansruedi war wohl nicht dumm, aber sehr schüchtern und immer müde.» – «Aber warum musste er so viel arbeiten?» – «So war das einfach, damals. Er musste sich Essen und Kleider selber verdienen – mit Arbeit.» –
«Und bekam kein Sackgeld?» – «Natürlich nicht, höchstens Schläge.» – «Da hätte ich protestiert!» – «Das hätte nichts genützt.» – «Dann wäre ich halt
davongelaufen.» – «Das hat Hansruedi dann später auch
gemacht. Ich habe keine
Ahnung, wohin er ging und was aus ihm geworden ist.» – «Das ist ja voll ungerecht. Hat da
niemand reklamiert?» – «Das
war einfach so, damals, man hat da nicht so genau hingeschaut. Obschon alle es wussten.» – «Zum Glück gibts das heute nicht mehr!» – «Dafür gibts heute die Dawits.»