Eine von 8589 bestehenden 5G-Antennen, die in der Schweiz in Betrieb sind. / Bild: Markus Zahno (maz)
Emmental/Entlebuch: Landauf, landab sorgen 5G-Antennen für Masseneinsprachen und emotionsgeladene Diskussionen. Aktuell zum Beispiel in Sumiswald. Eine Auslegeordnung.
Diese Geschichte könnte an einem beliebigen Ort handeln, irgendwo von A wie Affoltern bis Z wie Zollbrück.
Doch die Geschichte handelt in der Gemeinde Sumiswald, weit oben im Hornbach, fünf Kilometer ausserhalb des Dorfes Wasen. Hier will die Swisscom eine neue 5G-Mobilfunkantenne aufstellen. Das Baugesuch wurde Ende 2021 publiziert. Sogleich formierte sich Widerstand: 80 Leute unterschrieben eine Sammeleinsprache, dazu kamen acht Einzeleinsprachen. Auch drei Alpgenossenschaften setzen sich zur Wehr. «90 Prozent der Menschen, die hier in der Umgebung leben, sind gegen die Antenne», sagt Margrit Wymann, eine der Einsprecherinnen.
«Neue Weltordnung»?
Wenn Wymann nach dem Hauptgrund für die Einsprache gefragt wird, muss sie nicht lange überlegen. «Wir sorgen uns um die Gesundheit von Mensch, Tier – von der gesamten Natur», sagt sie. «Für unsere Bedürfnisse ist der Handyempfang hier genügend. Viele Leute schätzen es, wenn sie nicht jederzeit erreichbar sind. Das ist Lebensqualität.» Zudem werde das Gebiet momentan mit Glasfaserkabel erschlossen. Auch im Hornbach sei es also problemlos möglich, Netflix und Co. zu streamen.
Unterstützung erhalten die Einsprecherinnen und Einsprecher vom Verein Wir. Gemeinsam organisierte man kürzlich eine 5G-Informationsveranstaltung in Sumiswald. Über 100 Leute sassen in der Aula. Im ersten Teil trat Andreas Pflugshaupt auf, Beiratsmitglied des Vereins Wir und Versicherungs-Mathematiker. Er rechnete vor, warum er die gesetzlichen Vorgaben für Mobilfunkantennen «fixfertigen Chabis» findet und wie die Swisscom aus seiner Sicht Strahlenberechnungen manipuliere.
Im zweiten Teil referierte Christian Oesch, Präsident des Vereins Wir. Er erklärte den Anwesenden vieles – unter anderem, dass die Mobilfunkantennen Teil eines grossen Plans seien. Das Ziel sei «die totale Überwachung von uns allen» und letztlich eine neue Weltordnung. Die Weltgesundheitsorganisation wolle erwirken, dass man ohne Impfpass nicht mehr den ÖV benutzen und auch nicht mehr im Supermarkt einkaufen könne. «Wir sind alle Teil eines Menschenexperiments», sagte Oesch.
Relinfo, die evangelische Informationsstelle für Kirchen, Sekten und Religionen, schreibt im Eintrag über den Präsidenten des Vereins Wir: «Christian Oesch vertritt mehrere Verschwörungserzählungen.»
Grundsätzliches Misstrauen?
Der Sumiswalder Gemeindepräsident Martin Friedli (EDU) hat den Infoanlass mitverfolgt. Er will die Referate nicht gross kommentieren. Nur soviel: «Ich habe Dinge gehört, die überlegenswert sind, aber auch Dinge, die in Richtung Mutmassungen gehen.» Behörden müssten über Fakten entscheiden, sagt Friedli. Bei der Antenne im Hornbach liegt der Entscheid beim Regierungsstatthalteramt. Er ist noch hängig.
Nicht am Infoanlass teilnehmen wollte die Swisscom, weil eine sachliche Diskussion bei so gelagerten Anlässen kaum möglich sei. Swisscom-Sprecher Armin Schädeli nimmt schriftlich Stellung: Die Nutzung des Mobilfunks habe innert elf Jahren um das 90-fache zugenommen, erklärt er. Man halte die gesetzlichen Vorgaben bei allen Antennen ein. So werde es auch im Hornbach sein, «sonst hätte das Projekt gar keine Chance, realisiert zu werden». In der Schweiz seien die Grenzwerte an jenen Orten, an denen sich Menschen länger aufhielten, zehn Mal strenger als in Deutschland, erklärt Schädeli. Auch nach über 4000 Studien gebe es keine wissenschaftliche Belege für gesundheitliche Folgen, wenn die Grenzwerte eingehalten seien. «Wer der Schulwissenschaft misstraut, mag zu anderen Schlüssen gelangen.» Doch die Swisscom vertraue der Forschung.
Übrigens: Laut Bundesamt für Umwelt gehen 8,3 Prozent der Strahlen, denen wir ausgesetzt sind, von Mobilfunkantennen aus. Das eigene Handy, der WLAN-Router und die anderen eigenen Geräte machen mit 78,7 Prozent den weit grösseren Teil aus.
Urteil mit Signalwirkung?
In der Schweiz sind aktuell 8589 5G-Antennen in Betrieb. Der Baubewilligung geht nicht selten ein Rechtsstreit voraus. Gegner einer 5G-Anlage in Steffisburg etwa zogen bis vor Bundesgericht. Wer eine solche Antenne bewillige, setze die Gesundheit aller aufs Spiel, argumentierten sie.
Das Urteil des höchsten Schweizer Gerichts wurde mit Spannung erwartet und könnte laut Fachleuten Signalwirkung für andere Antennen-Gesuche haben. Nun liegt der Entscheid vor: Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Der Bundesrat lege Immissionsgrenzwerte fest, «die auf wissenschaftlich erhärteten Erkenntnissen beruhen». Die Berechnungen und Messweisen seien ebenfalls nicht zu beanstanden, so das Gericht.
Gut möglich, dass auch die 5G-Antenne im Hornbach ein Fall für die Gerichte wird. Doch zuerst warten die Beteiligten nun auf den Entscheid des Statthalteramtes. So, wie in vielen anderen Orten von A wie Affoltern, wo sich Bürgerinnen und Bürger mit einer Sammeleinsprache gegen eine Antenne beim Sportplatz wehren. Bis Z wie Zollbrück, wo gegen die Antenne in der Waldegg 43 Einsprachen eingingen.