Error compiling Razor Template (contact the administrator for more details)

S Gwungerhüsi

Als ich kürzlich auf meinem Arbeitsweg Richtung Bern fuhr, da stellte sich mir wieder einmal eine meiner etwas zweispältigen Eigenschaften in den Weg: mein Gwunder. Kurz vor Zäziwil steht ein kleines Haus mit einer Aufschrift, die mich fast ruckartig bremsen liess: «Gwungerhüsi». In schwarzen akuraten Buchstaben auf einem weissen Holzschild. Und genauso angebracht, dass man gar nicht anders kann, als beim Vorbeifahren daran hängen zu bleiben. Da ich bereits vorbeigefahren war, wendete ich beim Kreisel, stellte mein Auto auf den kleinen Ausstellplatz vis-à-vis und überquerte die Strasse, um das Häuschen zu erkunden – natürlich ganz unauffällig, etwas verschämt und stark verdrängend, dass es einfach nur meine Neugierde war, die mich anhalten liess. Das Häuschen ist zu klein, um wirklich bewohnt zu werden. Es ist mit hellen Holzschindeln bedeckt und hat zwei kleine Fenster ohne Läden und ohne Vorhänge. Ich schleiche um das Haus und bleibe nochmal vor dem weissen Schild mit der schwarzen Aufschrift stehen: «Gwungerhüsi». Und dann fällt es mir auf: Das kleine Haus hat keine Tür, keinen Eingang und keinen Ausgang. Nur die zwei sauber geputzten Fenster mit dem ­weissen Fensterkreuz. Ein Haus, das geradezu dafür gemacht ist, dass man nicht ein- und ausgeht, sondern durch die sauberen Fensterchen hinein gwundert. Ich zögere, aber dann stelle ich mich vor eins der Fenster: Da stehen ein kleiner Holzsekretär und ein Stuhl. Auf der Ablage liegen ein offenes Tintenfass, daneben ein Notizbuch mit einigen vergilbten, kaum lesbaren Schriftzeichen, eine gepunktete Kaffeetasse und eine Jugendstilvase mit einer vertrockneten roten Rose. Wann und ob der Schreiber zurückkommt? Und wie er überhaupt hier ein-  und ausgeht ohne Tür? Was er wohl schreibt und an wen? Ein Liebesbrief, ohne Anfang und ohne Ende? Nur für die zugänglich, die dem eigenen Gwunder nachgeben? Ich weiss nicht mehr genau, wie lange ich vor dem kleinen Häuschen stand. Irgendwann überquerte ich schmunzelnd und beinahe verzaubert wieder die Strasse und fuhr zur Arbeit. Ob es nicht ab und zu einmal einen solchen Blick ins Gwungerhüsi braucht?

09.03.2023 :: Patrizia Weigl