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Zumbühl spaziert nicht

Ich mag Spaziergänge. Das Plätschern des Baches, der Wind in den Bäumen, der Geruch des Waldes, ein Trampelpfad unter den Füssen. Durchatmen, durchlüften. Die Gedanken schweifen lassen. Bewegung für den Körper, Erholung für den Geist.

Ich bin ja ein Ründeler. Im Gegensatz zu den Hin-und-Herlern bevorzuge ich Routen, die mich im Kreis zurück zum Ausgangspunkt führen. Spaziergänge, bei denen Hin- und Rückweg identisch sind, erscheinen mir unsinnig. Es nähme mich wunder, ob das eine Frage des Charakters ist oder bloss eine des Geschmacks. Gibt es dazu wissenschaftliche Studien? ­Flanierforschung mit promenierenden Probanden? Solches geht mir zuweilen beim Spazieren durch den Kopf.

Auf meiner Runde treffe ich heute zufällig Zumbühl. Den kennen Sie nicht. Ich schon.

«Was treibt dich denn bei der Saukälte nach draussen, Heiniger?»

«Spaziergang», antworte ich. 

«Soso, Spaziergang. Bist du auch einer von denen? Da wüsste ich aber Besseres anzufangen mit meiner Zeit. Spazieren, das wird doch völlig überschätzt. Man latscht ein Stück und ist am Schluss wieder genau da, wo man angefangen hat. Da kann man es ja auch gleich sein lassen! Komplett sinnlose Tätigkeit, wenn man mich fragt. Aber mich fragt ja keiner, gell. Nein, spazieren, du, das ist nichts für mich.»

«Beim Spazieren ist eben der Weg das Ziel», halte ich dagegen.

«Blödsinn!», schnaubt Zumbühl. «Das ist wieder so ein esoterischer Spür-mich-fühl-mich-Hafenkäse. ‹Der Weg ist das Ziel› ist eine Ausrede für Leute, die nicht wissen, wo sie hinwollen.» Er redet sich in Rage. «Überleg doch, Heiniger. Der Satz macht überhaupt rein gar keinen Sinn! Das ist, als würde man behaupten, ‹Hunger sättigt am besten› oder ‹In der Sehnsucht liegt Erfüllung›. Nein, mein Lieber. Der Weg ist der Weg und das Ziel ist das Ziel. Basta.»

«Wenn du meinst. Aber was treibt dich dann auf den Spazierweg, Zumbühl?»

«Ich muss doch mit dem Hund nach draussen. Kann den ja nicht in die Wohnung scheissen lassen, oder? Wo ist der eigentlich? Charly? … CHARLY!» Aus dem Unterholz kommt mit hängenden Ohren ein steinalter Terrier getrottet.

«Da bist du ja, du Höllenhund.» Zumbühl bückt sich umständlich und legt den Hund an die Leine. Ächzend richtet er sich wieder auf. «Zudem hat mir der Doktor Bewegung verschrieben. Wegen der Pumpe, sagt er. So, ich muss dann mal wieder. War mir eine Freude, mit dir zu plaudern, Heiniger. Komm, Charly!» Die beiden trollen sich Richtung Zollbrück.

Und ich mache meine Runde fertig.

23.02.2023 :: Peter Heiniger