Tinu Heiniger: Hier oben, im Hochwacht- Gebiet, war er früher oft unterwegs. / Bild: Markus Zahno (maz)
Langnau: Im Buch «Mein Emmental» erzählt Liedermacher Tinu Heiniger Geschichten aus seiner Jugendzeit. Wir haben mit ihm eine Tour zu einigen Schauplätzen von damals gemacht.
Auf der Fahrt von Langnau hinauf auf die Hochwacht weiss Tinu Heiniger bei jedem zweiten Haus eine Geschichte zu erzählen. Beim alten Ilfis-Schulhaus: Hier habe seinerzeit ein Lehrer namens Walter Walther unterrichtet – «wir nannten ihn Doppel-Wale». Etwas weiter oben, beim Tannenhüsi: «Da ist der Schenk Simu aufgewachsen. Er war in der Schule mein Pultnachbar.»
Nochmals weiter oben, auf der Höhe des Hofes Zwygarten, parkiert Heiniger seinen dunkelblauen Kleinwagen am Strassenrand. Er steigt aus, marschiert durch den Schnee, bleibt stehen und zeigt hinauf zum Hang. «Das ist das Schanzenport.» Hier waren die besonders waghalsigen Langnauer Giele jeweils sonntags am Skispringen, «und wir kamen, um ihnen zuzuschauen». Ein grosser Volksauflauf sei das gewesen, damals, vor über 60 Jahren.
Die Bise weht. Als es langsam kalt wird, stapft Heiniger zurück zum Wagen, fährt wieder die Hochwachtstrasse hinunter. «Oft sind wir als Giele hier mit den Skis runtergesaust.» Bei der Hole sei die Piste sogar beleuchtet gewesen, «der Werren Ösu und ein paar andere vom Skiklub» hätten die Abfahrt jeweils wunderbar hergerichtet. «Huereguet!»
«Schöne, enge Welt von gestern»
Tinu Heiniger, 76, ist Liedermacher und lebt schon lange im Kanton Aargau. Aufgewachsen ist er als Schreinerssohn an der Langnauer Oberstrasse. Er spielte Klarinette in der Kadettenmusik, war Rechtsaussen beim FC Langnau. Nach der Schule machte er eine Lehre als Möbelschreiner und unterrichtete dann als Lehrer, ehe er sich als Musiker selbständig machte.
Heiniger ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Seine Sätze wirken nicht nur in gesungener oder gesprochener Form, sondern auch in schriftlicher. Im Herbst ist nun sein zweites Buch erschienen, es trägt den Titel «Mein Emmental» und den bewusst doppeldeutigen Untertitel «Geschichten aus der schönen, engen Welt von gestern». Mitten im Buch ist auch der Text seines neuen Liedes «Mys Dorf, myni Wäut», das am 24. Februar auf seiner neuen CD erscheint. Grund genug, mit Tinu Heiniger durch sein Dorf, seine Welt zu ziehen und an drei, vier Stationen Halt zu machen.
Die Helden im Himmel
Der Rundgang führt von der Hochwacht weiter zum Friedhof, dem Grab von Heinigers Eltern. Jeden Frühling trifft er sich hier mit den beiden Brüdern und der Schwester, isst anschliessend mit ihnen im «Bären» Zmittag. Zu seinem Vater hatte Tinu Heiniger lange Zeit ein gespanntes Verhältnis. «Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass nicht alles, was ich früher als negativ empfunden habe, schlecht war.» So konnte er sich mit dem Vater versöhnen. «Das Leben hat nun einmal beides: Schönes und Unschönes», sagt Heiniger, während er zum Grabstein blickt. Wichtig sei, das Unschöne anzusprechen, nicht einfach mit einem Heile-Welt-Bild zu überschmieren.
Heiniger, einst linker Revoluzzer, ist versöhnlicher geworden, denkt heute oft an die Endlichkeit des Lebens. Von Jahr zu Jahr kennt er mehr Leute auf dem Friedhof. Oder, wie er in seinem neuen Lied singt: «Myner Heude spile Hockey, schutte uf der Züghuusmatte. I der Badi hechte si vom Brätt, u i wär gärn so eine gsy wie die. Eso ne Wittwer Geru, Bärtschi Stifu, Lüthi Hardu, Gärber Rüedu, Zougg Emil, Scarnicci. I luege zue ne ueche, o no hüt, wo scho fasch au höch obe i mym Heudehimu sy.»
Die Sorge um das Dorfbild
Weiter geht die Tour zum Regionalmuseum Chüechlihus. Er möge dieses alte Haus und die Geschichte, die darin aufbewahrt werde, sagt Heiniger. «Leider wird nicht zu allen Häusern so Sorge getragen.» Einige Neubauten seien «schlimm», manchmal fragt er sich mit Mani Matters Worten: «Muess eigentlech aus geng verhimmuheilanddonneret sy?» Entsprechend wichtig findet er den Verein Dorfbild Langnau: «Beim Bauen geht es heute so sehr um Profit. Es braucht Leute, die Gegensteuer geben.»
Ja, Tinu Heiniger verfolgt das Geschehen in seiner alten Heimat noch immer. Mindestens einmal pro Jahr besucht er einen Match der SCL Tigers und kommt mit seiner Frau hierher wandern. Ab und zu begegnet er noch jemandem, der ihn mit «Sälü Spriesseli!» begrüsst, seinem Pfadi-Namen.
Das Emmental von damals ist nicht das Emmental von heute, wie Sohn Michu Heiniger im Nachwort des Buches treffend schreibt. Die Hösumatte zum Beispiel, die in Tinu Heinigers Erzählungen regelmässig vorkommt, heisst längst Sonnenfeld und ist keine Matte mehr, sondern ein Wohnquartier. Doch es gibt auch Dinge, die geblieben sind. Etwa die Eisenwarenhandlung Wüthrich mit den hunderten kleinen Holzschubladen und dem knarrenden Boden. In diesem Haus lebt noch heute Michus Grossmutter. Sie will Tinu Heiniger nun noch besuchen. Wie fast immer, wenn er in Langnau ist.