Auf unterschiedlichen Wegen

Auf unterschiedlichen Wegen
Sowohl in Landiswil (links) und in Münsingen sind Strassen ein Thema, mit denen sich die Gemeindepräsidenten oft beschäftigen. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Landiswil: Mit dem Projekt «Jobtausch» will die Regionalkonferenz Bern-Mittelland unterschiedliche Gemeinden zusammenbringen. Samuel Wittwer, Gemeindepräsident in Landiswil, hat sich mit seinem Amtskollegen aus Münsingen, Beat Moser, getroffen.

Fotografieren lassen sich die beiden Gemeindepräsidenten vor dem Gedenkstein für Niklaus Leuenberger, der 1653 in Bern hingerichtet wurde. Hier, im idyllischen Landiswil, war der Anführer des Aufstands gegen die Berner Regierung seinerzeit verraten und danach nach Bern abgeführt worden. «Leuenberger steht als Symbol für die Anti-Stadt-Haltung der ländlichen Bevölkerung. Die bernischen Patrizier gingen damals mit der Landschaft nicht gut um», sagt Samuel Wittwer, seit zwölf Jahren Landiswiler Gemeindepräsident. Im kleinen Ort wohnen 620 Menschen, in Münsingen, wo Beat Moser seit neun Jahren den Gemeinderat präsidiert, etwas mehr als 13´000. Wittwer und Moser haben sich je einen halben Tag in der anderen Gemeinde umgesehen und ziehen nun gemeinsam im Löchlibad im Landiswiler Ortsteil Obergoldbach Bilanz.


Kein Stadt-Land-Graben

Wie steht es in der Sicht der beiden also mit dem Stadt-Land-Graben, der sich bei Abstimmungen immer wieder zeigt, so zuletzt im Februar dieses Jahres bei der kantonalen Abstimmung zur Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer? Für Münsingen sei der länd­liche Raum enorm wichtig, sagt Moser. «In Münsingen arbeiten sehr viele Arbeitskräfte aus dem Emmental, so etwa im Gesundheitswesen, es sind hervorragende Leute. Wir ergänzen uns, ich sehe keine Konkurrenz». «Einen Stadt-Land-Graben gibt es bei mir nicht», findet auch Wittwer, ich habe guten Zugang zu städtischen Anliegen». Und er erinnert daran, dass fast eine Million des Landiswiler Budgets von 2,3 Millionen aus Transferleistungen besteht. So sind sich denn die beiden Gemeindepräsidenten Wittwer (parteilos) und Moser (Grüne) einig, dass es wichtig sei, sich gegenseitig zu kennen, zusammenzuarbeiten und sich untereinander auszutauschen.

Münsingen ist in den letzten Jahren auch dank den Fusionen mit Trimstein (2013) und Tägertschi (2017) gewachsen. War die Fusion mit einer grösseren Gemeinde in Landiswil noch nie ein Thema? «Es war mal eines», sagt Wittwer, «aber unter den Nachbargemeinden fehlt der grosse Player. Es ist klar, dass der Druck steigen wird, aber Zusammenarbeit kommt vor einer Fusion». So werde die AHV-Zweigstelle in Biglen geführt, der Sozialdienst in Konolfingen, man wolle «so lange wie möglich» durchhalten. Immerhin gibt es in Landiswil noch genügend Stimmberechtigte, die sich für ein Amt zur Verfügung stellen: Die Gemeindeversammlung vom letzten Freitag konnte für eine Vakanz zwischen drei Kandidierenden entscheiden. Gewählt wurde der Obergoldbacher Peter Hofer.


Sachpolitik vor Parteipolitik

«Die Behörden sind näher bei der Bevölkerung als wir», antwortet Beat Moser auf die Frage, was ihn bei seiner Exkursion nach Landiswil besonders beeindruckt habe. «Sie sind unmittelbar bei den Geschehnissen dabei. Um ihre Aufgaben zu lösen, muss die Verwaltung ein Generalistenwissen haben.» Alles sei in Münsingen zwanzigmal grösser, findet Samuel Wittwer, und doch sei die Verwaltung «nahbar, ein gut geführter Betrieb». Einen grossen Unterschied zwischen den beiden Gemeinden sieht er im Gemeindestrassennetz. «Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl müssen wir in Landiswil viel mehr Strassen unterhalten.» Einig sind sich die beiden, dass in ihren Gemeinderäten «Sachpolitik, nicht Parteipolitik» gemacht werde. Im Gegensatz zu Münsingen ist in Landiswil aber nur eine Partei aktiv – die SVP.


«Daten-Super-Gau»

Anders aufgestellt sind die beiden Gemeinden auch in Sachen Informatik. Münsingen beherbergt ein Rechenzentrum für zwölf Gemeinden aus der Umgebung, Landiswil hat seine Informatikdienste an eine private Berner Firma ausgelagert – was die Gemeinde national in die Schlagzeilen brachte: Bei der Dienstleistungsfirma gingen 2021 nach einer Panne wichtige Landiswiler Verwaltungsdaten verloren. «Daten-Super-Gau» hiess es, und «fuchsteufelswild» sei der Gemeindepräsident darob gewesen, wurde damals in verschiedenen Medien berichtet. «In gewissen Situationen muss man emotional reagieren», meint Wittwer dazu. Die Daten konnten rekonstruiert werden, Schwierigkeiten mit dem Informatikdienstleister gibt es aber immer noch: Die Firma wurde gehackt, und so ist momentan ein Teil der E-Mailadressen der Landiswiler Verwaltung gesperrt.

Klar wird bei diesem Treffen: Die Steueranlage mag verschieden sein, 1,85 in Landiswil, 1,58 in Münsingen, doch in aktuellen politischen Fragen sind sich die beiden Gemeindepräsidenten einig: Energie sparen wollen sie in Landiswil und Münsingen, die Photovoltaik ausbauen, das Vereinsleben fördern, Verkehrsprobleme lösen – will heissen: In Münsingen auf der Hauptachse Tempo 30 durchsetzen, in Landiswil für eine gute Anbindung an den ÖV sorgen. An diesem Mittag im Löchlibad merken die beiden auch, was sie sonst noch gemeinsam haben: Jeweils am 9. Juli werden Samuel Wittwer (61) und Beat Moser (59) ein Jahr älter.

08.12.2022 :: Rudolf Burger (bur)