«Das ist doch himmeltraurig»

«Das ist doch himmeltraurig»
Das aufgesprayte, langezogene Rechteck auf dem Asphalt bewog die Gemeinde zu einer Anzeige. / Bild: Markus Zahno (maz)
Linden: Die Geschichte um die geplante Wertstoffsammelstelle droht zu eskalieren. Der Gemeinderat hat nun Strafanzeige eingereicht – und vom Volk dafür einiges an Kritik kassiert.

Ganz am Schluss, die Gemeindeversammlung von Linden ist eigentlich schon vorbei, steht ein Bürger auf. «Ich habe einen Wunsch an den Gemeinderat», erklärt er. «Ich möchte, dass ihr die Anzeige zurückzieht.» Dann setzt sich der Mann wieder, und im vollbesetzten Saal des Gasthofs Linde brandet Applaus auf.

Der Mann spricht den Konflikt an, der die Gemeinde bereits seit Monaten beschäftigt. Der Gemeinderat möchte mitten im Dorf eine neue, unterirdische Wertstoffsammelstelle einrichten. Glas, Blech, Papier und Kleider sollen hier dereinst entsorgt werden können – auf dem Mehrzweckplatz, der im Winter unter anderem als Parkplatz der Skilift Schindelberg AG dient.

Die Verantwortlichen der Skilift-AG wehren sich mit allen Mitteln gegen die Sammelstelle. Sie argumentieren: Der Standort sei nicht ideal, die Zufahrt ungenügend, die Information der Bevölkerung mangelhaft. Und der Gemeinderat breche das Versprechen, den Platz «langfristig freizuhalten». Deshalb reichte die AG eine aufsichtsrechtliche Anzeige ein, dazu eine Baubeschwerde und eine von 400 Menschen unterschriebene Petition. Doch alles nützte nichts. Der Gemeinderat blieb bei seinen Plänen und ging mit einem Flugblatt an alle Haushalte in die Gegenoffensive. Das wiederum liess die Skilift-AG nicht auf sich sitzen: Sie schickte ihrerseits ein Flugblatt in alle Haushalte.


Weisse Striche

Die Vorgeschichte ist also schon emotional. Doch nun hat die Angelegenheit eine neue Eskalationsstufe erreicht. Um der Bevölkerung zu zeigen, wie gross die geplante Sammelstelle würde, haben vier Leute der Skilift-AG ein paar Striche auf dem Mehrzweckplatz aufgesprüht; die Umrisse des ungefähr 15 mal 1 Meter grossen Grünstreifens, der die Sammelstelle begrenzen würde. Das liess der Gemeinderat nicht auf sich sitzen – er forderte die AG per eingeschriebenem Brief auf, die Markierung zu entfernen. Und als das nicht geschah, reichte der Gemeinderat Anzeige gegen unbekannt ein. Wegen Sachbeschädigung.

Wie in solchen Fällen üblich, begann die Polizei zu ermitteln. Und landete bei Rolf Linder, Verwaltungsrat der Skilift Schindelberg AG. Er hat geholfen, die weissen Striche auf den Platz aufzusprayen. Nun musste er, zusammen mit den «Mittätern», zur Einvernahme bei der Polizei antreten. «So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert», sagt Linder an der Gemeindeversammlung.

Dass die Gemeinde als Besitzerin des Platzes Anzeige einreichen kann, ist aus rechtlicher Sicht legitim. Die  Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an der Gemeindeversammlung sieht die Aktion dagegen kritisch, sehr kritisch.


Grosser Applaus

Mehrfach wird der Gemeinderat an der Versammlung getadelt. Die Anzeige sei «himmeltraurig», heisst es zum Beispiel. Ein älterer Mann erklärt, wie gefährlich die geplante Zufahrt gerade für die Schulkinder sei. «Das kann grosses Leid ins Dorf ­bringen», sagt er. Ein anderer bittet die Beteiligten, endlich zusammenzusitzen und eine gütliche Lösung zu suchen. Und eine Bürgerin gibt zu bedenken: «Die Gemeindefinanzen sind angespannt. Bitte überlegt euch nochmals, ob wir für gut 1300 Einwohner eine solch luxuriöse Sammelstelle brauchen.» Die heutige Lösung beim Volg sei praktisch.

Nach solchen Voten brandet immer wieder Applaus auf. Die Gemeindebehörden exponieren sich kaum an diesem Abend. Man prüfe noch andere Standorte für die neue Wertstoffsammelstelle, sagt Ignaz Margelisch, der interimistische Gemeindepräsident. Und zur Anzeige wegen der aufgesprayten Striche: «Wenn Jugendliche eine Wand versprayen, werden sie ebenfalls zur Rechenschaft gezogen.» Gelächter im Saal.

All das spielt sich im Traktandum «Verschiedenes» ab. Über die Wertstoffsammelstelle zu entscheiden, liegt grundsätzlich in der Kompetenz des Gemeinderats. Doch nun muss der Rat das Thema an der Gemeindeversammlung vom nächsten Frühling traktandieren – dem entsprechenden Antrag haben 163 der 192 anwesenden Bürgerinnen und Bürger zugestimmt. «Wir hoffen, schon vorher eine Lösung zu finden», sagt Margelisch nach der Versammlung. Ob der Gemeinderat die Anzeige wegen der aufgesprayten Striche zurückziehe, werde man noch besprechen.


Neue Gesichter

Gewählt hat die Gemeindeversammlung von Linden auch noch: Ignaz Margelisch wird ohne Gegenkandidat neuer Gemeindepräsident. Er ist 57-jährig, gelernter Bäcker-Konditor und heute Leiter der Globetrotter-Filiale in Bern. Seit einem Vierteljahrhundert wohnt er in Linden. Als Gemeindepräsident tritt er die Nachfolge von Beat Engel an, der im Oktober aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten ist. Gemeinderat Bruno Grossglauser tritt auf Ende Jahr ebenfalls zurück. Für die beiden frei werdenden Sitze im Rat sind Benedikt Huber (159 Stimmen) und Markus Steiner (127) gewählt. Der ebenfalls kandidierende Daniel Dolder kommt auf 91 Stimmen. Neue Vizepräsidentin des Gemeinderats wird Heidi Aeschlimann.

Das Budget 2023, das im steuerfinanzierten Haushalt ein Minus von 196´000 Franken vorsieht, hat die Gemeindeversammlung ebenso genehmigt wie die neue Wasserleitung zwischen Jassbach und Linden für 320´000 Franken. Alles ohne Opposition.

01.12.2022 :: Markus Zahno (maz)