Einblick in den Kosmos des Adolf Wölfli

Einblick in den Kosmos des Adolf Wölfli
Adolf Wölfli zeichnete oft, was sich in seiner unmittelbaren Nähe befand. / Bild: Kunstmuseum Bern Adolf Wölfli-Stiftung
Schangnau: Der Schriftsteller, Zeichner und Komponist Adolf Wölfli lebte acht Jahre als Verdingbub in Schangnau. Über sein Leben realisiert Heinz Bütler einen Kino-Dokumentarfilm.

Nach Filmen über Albert Anker, Hermann Hesse, Alberto Giacometti und weiteren Personen und Themen der bildenden Kunst und Literatur beschäftigt sich der Filmemacher Heinz Bütler mit Adolf Wölfli (1864?–1930). Dieser lebte den grössten Teil seiner Jugend unter elenden Bedingungen in Schangnau bei Bauern als Verdingbub. Die Fortsetzung seines Lebens verlief nicht viel besser: Wegen «Notzuchtversuchen» (versuchte Vergewaltigung) verbrachte Wölfli Jahrzehnte zuerst im Gefängnis, dann in der «Irrenanstalt» Waldau, wo auch sein künstlerisches Werk entstand. Gemäss Heinz Bütler zeige sein Film «eine filmische Forschungsreise in die fantastischen Welten dieses bedeutenden Schweizer Künstlers.» Warum dieser Film? «Schon als ich meinen Film über Albert Anker drehte, geisterte mir Adolf Wölfli durch den Kopf. Unterschiedlicher als die beiden können Künstler nicht sein. Beide lebten nur 30 Kilometer voneinander entfernt – Anker in seinem schönen Inser Atelier, Wölfli in einer Zelle der psychiatrischen Klinik. Ein Film über Wölfli war ein Traum, der jetzt Wirklichkeit wird», sagt Bütler.


Viel Zeit im Archiv verbracht

Wölflis Werk umfasst eine gewaltige Menge Material: Rund 25´000 beschriebene Seiten sowie mehrere tausend Blätter mit Zeichnungen und Collagen, die etwa von Reisen der Schweizer Jäger- und Naturforscher-Gesellschaft, von Kontinente oder den Sternen erzählen. Was davon verwendet man für rund 100 Minuten Film? Dazu Heinz Bütler: «Der Schauspieler Ueli Jäggi und der Kunsthistoriker Daniel Baumann erforschen im Film auf vielen Wegen der Annäherung Wölflis Kosmos entlang einer Vielzahl von Zeichnungen, Collagen und Kompositionen – von seiner «Kurzen Lebensbeschreibung» über die fiktive Autobiographie «Von der Wiege bis zum Graab» bis zum unvollendeten «Trauer=Marsch».


Wölfli-Abend in Schangnau

Am Samstag, 15. August findet im Restaurant Löwen in Schangnau ein Wölfli-Abend rund um dessen Leben und Werk statt. Der Anlass wird in Ausschnitten auch im Film Thema sein.

Der Schauspieler Ueli Jäggi und der Kunsthistoriker und Wölfli-Kenner Daniel Baumann führen durch den Abend mit Lesungen und Geschichten rund um «Skt. Adolf II», wie sich Wölfli in späteren Jahren selbst bezeichnete. Die Musizierenden der Löie-Stubete-Musig begleiten durch den Abend. Ob den Schangnauerinnen und Schangnauern bewusst ist, dass aus ihrer Gemeinde ein international berühmter Künstler hervorging? Dazu der Filmemacher: «Natürlich hoffen alle Beteiligten, dass der Abend die Wege zu Adolf Wölfli breiter machen und Vorurteile, wo vorhanden, ausräumen kann.»

Ein schwieriges Leben und eine enorme Schaffenskraft

Der 1864 geborene Adolf Wölfli wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Um 1870 verlässt der Vater, ein Alkoholiker, die Familie. Wölfli und seine Mutter verarmen und werden in die Heimatgemeinde Schangnau zwangsumgesiedelt. Im Jahr 1874 stirbt Wölflis Mutter, und ihr Sohn wächst unter entwürdigenden Lebensbedingungen als Waise und Verdingbub bei verschiedenen Bauernfamilien im Emmental auf.

Die Jahre von 1880 bis 1890 verbringt Wölfli als Lohn- und Wanderarbeiter. 1890 muss er wegen versuchter «Notzucht» zu zwei Jahren ins Zuchthaus. Aus der Haft entlassen, vereinsamt der junge Mann immer mehr. Wegen eines erneuten «Notzuchtversuchs» wird Wölfli 1895 zur Untersuchung in die psychiatrische Heilanstalt Waldau bei Bern eingeliefert. Die Diagnose lautet auf «Dementia paranoides» (Schizophrenie).

Auf Geheiss der Ärzte verfasst Adolf Wölfli bei seinem Eintritt in die Waldau im Jahr 1895 seine Lebensgeschichte. 1899 beginnt er zu zeichnen. Von 1908 bis 1912 schreibt er seine fiktive Autobiographie «Von der Wiege bis zum Graab» (3000 Seiten). Zwischen 1912 und 1916 entstehen die geographischen und allgebräischen Hefte, in denen Wölfli auf 3000 Seiten die Entstehung der zukünftigen «Skt.Adolf-Riesen-Schöpfung» schildert. Ab 1916 entstehen Serien von Zeichnungen, die Wölfli an Ärzte, Angestellte, Besucher und erste Sammler verschenkt oder verkauft. Von 1917 bis 1922 erfolgt auf rund 7000 Seiten die Niederschrift der Hefte «Lieder und Tänze». 1921 veröffentlicht Walter Morgenthaler die Studie «Ein Geisteskranker als Künstler», die unter anderen auch Rainer Maria Rilke und Lou Andreas-Salomé lesen. 

Zwischen 1924 bis 1928 gestaltet Wölfli die «Albumm-Hefte», 5000 Seiten mit musikalischen Kompositionen. Zuletzt, von 1928 bis 1930, arbeitet er am (unvollendeten) Trauer=Marsch, einem über 8000 Seiten langen, fast minimalistischen Requiem.

Am 6. November 1930 stirbt Adolf Wölfli an Magenkrebs.

Nach der ersten Ausstellung im Kunstmuseum Bern 1976 wird sein Werk europaweit und in den USA gezeigt. Im Wölfli-Raum des Kunstmuseums Bern sind Bilder des Künstlers zu sehen. Die Wölfli-Stiftung verwaltet die Ausstellung und das Archiv.

Mehr Informationen zu seinem Werk auf www.adolfwoelfli.ch.

07.08.2025 :: Laura Fehlmann (lfc)