Jeremias Gotthelf, Kämpfer gegen das Verdingkindwesen

Jeremias Gotthelf, Kämpfer gegen das Verdingkindwesen
Lukas Künzler sprach zu Gotthelfs Ansichten im Armenwesen. / Bild: zvg
Lützelflüh: Der Historiker Lukas Künzler sprach über die Rolle des einstigen Pfarrers von Lützelflüh, Albert Bitzius, bei der Armenerziehungsanstalt Trachselwald.

In diesen Tagen wird nach der Publikation eines Buchs über das schwere Los der Verdingkinder im Knabenheim «Auf der Grube» in Köniz diskutiert. Das Thema ist nicht neu: Schon 1840 hat der Pfarrer von Lützelflüh, Albert Bitzius, «die materielle Ausbeutung und die seelische Vernachlässigung» der Verdingkinder kritisiert. So formulierte es der Historiker Lukas Künzler in seinem Vortrag über Jeremias Gotthelf und dessen Ansichten zu Erziehung, Armen- und Verdingwesen letzten Samstag im Gotthelf Zentrum in Lützelflüh.


«Kein ewiggestriger Moralprediger»

Künzler ist der Autor einer Dissertation über Jeremias Gotthelf. In seinem 800 Seiten starken Werk kommt der Historiker zum Schluss, dass der langjährige Pfarrer von Lützelflüh «keineswegs der ewig gestrige, fortschrittsfeindliche Moralprediger» gewesen sei, als den ihn manche Exponenten der 68er-Bewegung eingestuft hätten. Im Gegenteil: «Gotthelf war der Meinung, dass das Problem der Armut nur gelöst werden könne, wenn man die Seelen der armen Kinder ohne Gewalt rette. Und er hielt alle Menschen für bildungsfähig.» In seinem Wirken als Pfarrer, Verfasser von Zeitungsartikeln und Autor literarischer Werke setzte sich Gotthelf mit den pädagogischen Ideen des Berner Patriziers Philipp Emanuel von Fellenberg (1771–1844) und des Deutschen Friedrich Fröbel (1782–1852) auseinander. Von Fellenberg sah er als praxisfernen Theoretiker; an Fröbel, der vom Wirken Pestalozzis beindruckt war und unter anderem das Waisenhaus in Burgdorf leitete, schätzte er dessen praktisches Engagement. Gotthelf schritt aber auch selbst zur Tat: Zum einen als Verfasser der Schrift «Die Armennoth» (1840), zum andern als führendes Mitglied des Vereins, der 1835 die Armenerziehungsanstalt Trachselwald gründete. Dort wurde – wie Lukas Künzler anhand von Unterlagen aus dem Jahr 1845 zeigen konnte – das von der Gemeinde zu bezahlende Kostgeld auf 32 Franken pro Jahr festgesetzt. Das entsprach genau dem Betrag, für den die meisten Verdingkinder in Sumiswald versteigert worden waren. Ja, das war damals so üblich: Verdingkinder wurden dem Bauern anvertraut, der von der betreffenden Gemeinde das geringste Kostgeld verlangte.


«Knechte statt Sozialfälle»

Laut Lukas Künzler ging es Gotthelf mit der Armenerziehungsanstalt darum, dass aus den Jugendlichen brauchbare Knechte statt Sozialfälle wurden. In den ersten Jahren sei die Armenerziehungsanstalt durchaus erfolgreich gewesen, die Gemeinden hätten kooperiert, die Mehrzahl der Abgänger habe die Armut hinter sich lassen können, erklärte der Historiker. 1846 sei sogar erstmals ein Gewinn geschrieben worden. Der Pfarrer aus Lützelflüh war lange Zeit in verschiedenen Funktionen in der Verwaltungskommission der Anstalt tätig und besuchte regelmässig «seine Buben», wie es in einem Bericht heisst. Offenbar war Gotthelf auch bei den Zöglingen beliebt. Kurz nach seinem Tod im Jahr 1854 errichteten sie für ihn im Garten der Anstalt einen Gedenkstein: «Jhrem Freund und Wohlthäter Pfarrer Albert Bitzius. Die Zöglinge der Anstalt.»

17.11.2022 :: Rudolf Burger (bur)