Das 850-seitige Buch gewährt Einblicke in das Leben von einst – etwa auf dem Hirschwendiberg um 1908. / Bild: zvg
Schangnau: Während Jahren hat Hans Minder recherchiert – und ist in reichem Masse fündig geworden. Dies beweist das eben erschienene Historische Lexikon der Gemeinde Schangnau.
Eine stattliche Zahl einheimischer und auswärtiger Gäste hat sich an diesem Samstagnachmittag im heimeligen Saal des «Alpenrösli» versammelt. Ein Kühergeläute prangt an der Decke. Hinten im Saal hat sich das Quartett der «Urchigen Bumbacher» zu einer lüpfigen Einleitung aufgestellt. Und vorne auf einer Tischreihe an der Wand liegen mehrere Stapel dicker Bücher. Die Geburtsstunde eines besonderen Buches wird heute gefeiert: Nach mehreren Jahren fleissiger Forscherarbeit – unter Mithilfe zahlreicher Helferinnen und Helfer – liegt die neue Schangnauer Chronik von Hans Minder gedruckt vor. Sponsoren ermöglichten die Herausgabe. Zum ersten Mal seit den wertvollen Aufzeichnungen des Pfarrers Engimann Ende des 18. Jahrhunderts erfahren die Schangnauerinnen und Schangnauer etwas über ihre Geschichte der letzten 500 Jahre. Was heisst schon «etwas»: Ein Werk von über 800 Seiten ist entstanden, in dem nebst vielem anderem die Geschichte jeder Liegenschaft minutiös beschrieben wird. «3½ Kilogramm Buch», witzelt Hans Minder gleich zu Beginn seiner kurzen Einführung. Aber es ist nicht bloss äusserlich ein gewichtiges Werk entstanden. Nichts aus der Vergangenheit scheint vergessen worden zu sein. Wir erfahren etwas über die Geologie (von Peter Andres), der das Tal seine Form verdankt, über den Kemmerizopfen als ehemaliges Korallenriff oder über ein nashornähnliches Monster namens Anthrocothericum bumbachense, dessen Überreste in Gesteinsschichten am Fuss des Hohgant gefunden wurden. Hohgant? «Nein, Furgge nannten die Schangnauer ihren Berg,» erläutert Hans Minder, «aber die Oberländer auf der anderen Seite waren wieder einmal schneller, als die ersten offiziellen Landkarten entstanden.» In einem Beitrag von Ernst Roth vernehmen die Zuhörenden etwas über die Geschichte der Alp- und Talkäsereien.
In einem weiteren Kapitel sind die Schangnauer Familiennamen mit ihren Wappen aufgelistet. «Das Spezielle im Schangnau ist, dass wir hier – im Gegensatz etwa zu Trub – schon um 1850 zahlreiche auswärtige Geschlechter antreffen.» Wie kamen denn die Klötzli, Hadorn oder Gfeller ins Schangnau? Das wird im Buch exakt beschrieben.
Beat Feuz und andere Promis
Natürlich erfährt man auch allerlei über die Schangnauer Promis: über Peter Reber, Beat Feuz oder den Kunstmaler Adolf Wölfli. Und natürlich über Wald-Rösi. «Wenn ich im Militär sagte, ich komme aus dem Schangnau, kannte niemand diesen Ort. Wenn ich danach den Kemmeriboden oder Wald-Rösi erwähnte, leuchteten die Augen auf», erzählt deren Neffe im Buch.
Gemeindepräsident Beat Gerber wies in seiner Begrüssung darauf hin, wie wichtig es gerade in unserer Zeit sei, dass Menschen ein Heimatgefühl entwickeln könnten, und wie das neue Buch für sein Dorf wesentlich dazu beitragen könne. Hansueli Siegenthaler, der wie drei seiner Vorväter jahrelang als Gemeindeschreiber gewirkt hatte, hat Wesentliches zum Gelingen des umfassenden Werks beigetragen. Stunde um Stunde hat er mit Hans Minder im Gemeindearchiv verbracht. Viele Menschen hätten zudem vertrauensvoll ihre Speicher und Fotoalben geöffnet.
Nicht realisierte Utopien
Den Käuferinnen und Käufern des Buches wird es an kommenden Winterabenden nicht langweilig werden, wenn sie lesen, wie geplant war, das untere Schangnau mit einem Staudamm beim Räbloch unter Wasser zu setzen, wie man Strassen über den Grünenbergpass oder über die Ällgäuli-Lücke hinüber ins Oberland projektierte und doch wieder fallen liess, wie die resolute Kemmeriboden-Wirtin Lisebeth Eingang fand ins Werk von Simon Gfeller oder was Ortsnamen wie Gäbscheli, Glunti oder Leu bedeuten.