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Weniger Stress für das Tier

Weniger Stress für das Tier
Vor der Schlachtung werden die Tiere an die für die Hofschlachtung nötige Anlage gewöhnt. Hier auf einem Hof ausserhalb des Emmentals. / Bild: Erhard Hofer (hol)
Emmental: In Ober Gummen, Gemeinde Trub, sind vor kurzem Schweine auf einem Bauernhof getötet worden. Der Anbieter dieser Dienstleistung stammt ebenso aus dem Emmental.

Es ist 5.30 Uhr an einem Montag Ende Oktober. In Ober Gummen ob Kröschenbrunnen haben sich rund zehn Personen – Erwachsene und auch Kinder – beim Stall des Landwirtepaares Bianca Wenger und Florian Hofstetter versammelt. Drei Schweine sollen heute morgen getötet, ausgeblutet und danach zur Verarbeitung in die Dorfmetzg Marbach gefahren werden. Dazu steht der Anhänger der Firma Platzhirsch Hofschlachtungen Gmbh aus Lützelflüh bereit. Das erste Schwein wird mit Futter auf die ausgefahrene Plattform hinter dem Anhänger gelockt. Das gelingt nicht gleich, aber nach einigem Zögern steht das Tier dann doch am gewünschten Ort. Während es frisst, wird es mit der Elektrozange und gleich danach mit dem Bolzenschussgerät betäubt und in die Brust gestochen. Während die Blutung beginnt, wird das Schwein auf der Plattform in den Anhänger gezogen und dort zum Ausbluten aufgehängt. Kurze Zeit danach wird das zweite Tier auf die gleiche Art getötet. Dann fährt der Transport los, von der Betäubung bis zum Ausweiden der Innereien im Schlachthof dürfen aus Gründen der Hygiene nicht mehr als 45 Minuten verstreichen. Nach etwa dieser Zeit steht der Anhänger auch schon wieder da. Das dritte Tier wird angelockt, betäubt, getötet und nach Marbach gefahren.


Der Dienstleister

Inhaber der Platzhirsch Hofschlachtungen Gmbh in Lützelflüh ist der 44-jährige Mischa Hofer. Seit Juli 2020, seit Hof- und Weidetötungen per Verordnung des Bundes erlaubt sind, ist er mit seiner mobilen Schlachteinheit unterwegs. Erstanden hat er das Gefährt in Deutschland schon 2019 für 100´000 Franken, als er, wie er sagt, «noch gar nicht wusste, ob die Bewilligung kommt oder ob ich Alteisen erworben habe». Entstanden sei die Idee vor mehreren Jahren am Stammtisch, als sich die betreffende Runde klar geworden sei, dass bei der heute üblichen Schlachtung «die letzte Meile nicht stimmt». Statt Hektik beim Verladen auf einen Lastwagen und Stress beim Transport und Abladen brauche ein Tier vor der Tötung Ruhe. Deshalb wird bei der Hoftötung die Plattform schon Tage vor dem Termin beim Bauernhof deponiert und das Tier an dieser Stelle gefüttert. Steigt es am vorgesehenen Tag nicht auf die Plattform, wird es nicht getötet. Ja, das sei schon vorgekommen, sagt Hofer auf Nachfrage.

Seit Aufnahme der Geschäftstätigkeit ist die Schlachteinheit für Rinder laut Hofer schon in «hunderten Fällen» zum Einsatz gekommen. Vor kurzem hat er sein Geschäft um die «europaweit erste patentierte Schweine- und Kleinnutztier-Hoftötungsanlage» erweitert. Diese neue Anlage kommt an diesem Montag in Ober Gummen erstmals im Emmental zum Einsatz. Nein, er sei keine Konkurrenz für konventionelle Schlachthöfe, sagt Hofer, im Gegenteil: «Dank meiner Firma müssen die Schlachthöfe nicht töten. Das macht ja keiner gerne.» Je nach Tiergewicht kostet eine Tötung 300 bis 450 Franken pro Tier.


Die Experten

Weil diese Schweine-Hoftötung ein Novum ist, wird sie gleich von vier Tierärzten beobachtet. Von Roland Lanz aus Langnau, Ahmet Candi und Ursula Witschi vom kantonalen Amt für Veterinärwesen sowie – schliesslich liegt die verarbeitende Marbacher Dorfmetzg im Nachbarkanton – der Luzerner Amtstierärztin Andrea Berger. «Mein Eindruck ist positiv», sagt Ursula Witschi, die sich für Auskünfte zur Verfügung stellt, «die Leute haben gut gearbeitet, die Tötung ist ruhig und korrekt abgelaufen». Damit eine Hoftötung möglich sei, müsse der Dienstleister über eine entsprechende Ausbildung verfügen und der Tierhalter im Besitz einer vom Amt für Veterinärwesen ausgestellten Bewilligung sein. Und noch weitere Bedingungen müssen laut Witschi erfüllt sein: «Die Einhaltung der Hygieneanforderungen, die Durchführung der Schlachttier- und Fleischuntersuchung. Und ein Tier muss eine gewisse Zeit auf dem Hof verbracht haben, es geht nicht, dass der Nachbar einfach seine Tiere zum Landwirt mit Bewilligung bringt.»


Die Forscherin 

Sind Tiere bei der Tötung auf dem Bauernhof tatsächlich weniger gestresst als beim konventionellen Ablauf im Schlachthof? Das versucht Anna Jenni vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau im aargauischen Frick herauszufinden. Sie verwendet das Stichblut der Schweine für weitere Untersuchungen. «Wir haben noch nicht alle Zahlen», sagt sie, «aber die bisherigen Erfahrungen mit den Tötungen nach dem Hofer-System sind positiv.» Nach dem Stichblut-Schnelltest bei den getöteten Schweinen seien die Laktat- und Glukose-Werte – die Indikatoren für Stressymptome – eher tief. 


Die Bäuerin

Zusammen mit ihrem Partner bewirtschaftet Bianca Wenger den Hof in Ober Gummen. «Wir haben gute Erfahrungen mit Rindertötungen auf dem Hof gemacht», sagt sie, «die Tiere sind dabei in der gewohnten Umgebung mit den gewohnten Gerüchen, der Stress beim Transport in den Schlachthof wird ihnen erspart. Wir sind froh, dass es diese Tötungsart jetzt auch für Schweine gibt.» Zwar wird das Fleisch durch die Hoftötung um etwa drei Franken pro Kilo teurer, aber Wenger findet auch, das Fleisch von ihren Tieren sei dafür möglicherweise auch qualitativ besser, weil es zarter sei und weniger Wasser ziehe. Aber, schränkt sie ein, «primär gibt mir unser Fleisch einfach auch ein besseres Gefühl beim Essen».

Wie kommt es, dass Bianca Wenger drei ihrer Kinder bei der Tötung der Schweine zuschauen liess? «Die Kinder haben mich gefragt», sagt sie, «sie essen Fleisch, so lernen sie den bewussten Umgang damit, sehen das Schöne, wenn ein Tier auf die Welt kommt, aber sind sich auch bewusst, woher das Fleisch auf dem Teller kommt.»

Von der Dorfmetzg in Marbach kommt das Fleisch zurück auf den Hof in Ober Gummen. In Nachbars Rauchküche «fast wie zu Gotthelfs Zeiten» werden Trockenwürste hergestellt und auf Anfrage und an Stammkunden Fleischpakete verkauft. «Eine Hoftötung», sagt Bianca Wenger, «hat für uns viel mit Achtung und Respekt vor dem Tier zu tun.» 

10.11.2022 :: Rudolf Burger (bur)