Marcel Tröhler auf seinem Spezialmodell. / Bild: Gabriel Anwander (agl)
«Wieder entdeckt»: Millionen von Solex tuckerten einst über die Strassen. Immer mehr Leute finden wieder Gefallen an den eigenwilligen Gefährten – etwa die Mitglieder des Solex-Club Emmental.
Lupo, Märsu, Chipsu und Bubu gründeten im Februar vor 13 Jahren gemeinsam einen Club, den Solex-Club Emmental. Die vier Freunde organisieren nächstes Jahr das zehnte grosse Mofa-Treffen im Jägerhaus in Gohl. Trotz des Erfolgs blieb der Bestand an Mitgliedern seit der Gründung immer gleich. Märsu alias Marcel Tröhler begründet: «In der Schweiz gibt es viele Gleichgesinnte. Um mit uns zusammen auszufahren und Spass zu haben, braucht niemand Clubmitglied zu werden.» Mehr Mitglieder brächten bloss mehr Administration mit sich, ergänzt Lupo, alias Marcel Frey. Das sei genau das, was sie von Anfang an tief halten wollten: jede Art von Formalitäten.
Das Solex lachte ihn an
Angefangen hat die Geschichte ein halbes Jahr vor der Gründung. Im Spätsommer brachte Frey sein Rennrad zum Velomechaniker, es hatte neue Reifen nötig. In der Werkstatt des Mechanikers sah er ein Solex stehen, ein revidiertes, blitzsauber gereinigtes und mit einem Preisschild versehenes Ding. Es hob sich von all den Velos deutlich ab – oder wie Frey sagt: «Es hat mich regelrecht angelacht.»
Er kaufte das Solex und drehte dann auf dem Platz vor seiner Firma ein paar Runden. Seine Freunde Chipsu, alias Stefan Kipfer, Bubu, alias Peter Linder und Marcel Tröhler hörten das Tuckern, eilten herbei und sahen ihm zu. Frey sagt, der Motor habe sanft geschnurrt und das Tempo, das das Ding anschlug, sei gemächlich gewesen und auffallend gleichmässig. «Und das Wichtigste!», betont er, «man sitzt sehr bequem auf einem Solex.»
Er lieh es seinen Freunden aus. Nachdem alle ihre Runden gedreht hatten, waren sie sich einig: Auf einem Solex lässt sich die Welt gemütlich erfahren. In der Folge beschaffte sich jeder sein eigenes Gefährt und seither treffen sich die vier Freunde in der Freizeit für gemeinsame Ausflüge. Damals seien die Preise moderat gewesen, sagt Tröhler, heute würden für die Originale überhöhte Preise geboten.
Im Jahr 1946 entwarf Marcel Mennesson, ein Techniker in Frankreich das Vélosolex. Im Lauf von vierzig Jahren wurden sechs Millionen Exemplare produziert und in alle Welt verkauft. Der Hersteller unternahm mehrere Versuche, das Urmodell zu verbessern, die Leistung des Motors wurde gesteigert und der Antrieb über eine Kardanwelle aufs Hinterrad übertragen, aber keines der Nachfolgemodelle vermochte das Original zu übertrumpfen, keines hatte auch nur annähernd denselben ausgeprägten Charme. Nach vierzig Jahren wurde die Produktion eingestellt. Heute werden Solex in Lizenz gebaut, unter anderem in China, das neuste Modell ist mit einem Akku und einem Elektromotor ausgestattet.
«Alles.»
Die Frage, was das Faszinierende an einem Original sei, beantwortet Tröhler mit einem Wort. «Alles.» Er zählt auf: «Angefangen beim kuriosen Zweitaktmotor, über den Antrieb, das Fahrverhalten, der geringe Verbrauch, die Robustheit und nicht zuletzt das bequeme Sitzen.» Er kommt ins Schwärmen. «Der Motor widerspricht den Grundsätzen eines Zweitakters an einem Motorrad.» Normalerweise befinde sich der Tank über dem Motor, das Benzin fliesse durch Schwerkraft in den Vergaser. Beim Solex liege der Tank neben dem Motor, deshalb brauche es eine Membranpumpe, die das Benzin in den Vergaser pumpe. Weil der Vergaser weniger schlucke als die Pumpe fördere, brauche es einen Überlauf zurück in den Tank.
Das klingt kompliziert, doch das wirklich Kuriose kommt noch: Normalerweise wirbelt in einem Zweitaktmotor das Luft-Benzin-Gemisch unten durchs Kurbelgehäuse, steigt seitlich hoch, strömt durch den Einlasskanal in den Zylinderkopf, wird dort verdichtet und gezündet. Es verbrennt, dehnt sich aus, presst den Kolben hinunter und strömt auf der Gegenseite durch den Auslasskanal in den Auspuff. Man nennt das Querströmung. Beim Solex befinden sich der Einlass- und der Auslasskanal übereinander auf derselben Seite. «Der Einzylinder ist unlogisch konstruiert, funktioniert gleichwohl», sagt Tröhler. Gasgeben ist beim Solex nicht möglich, der Motor dreht während der Fahrt stets im optimalen Bereich. Dank der konstanten Drehzahl ist er ausgesprochen stabil, trotz der Kompliziertheit.
Nichts für den Berg
Nun zum Antrieb. Mit einem Hebel lässt sich der Motor absenken, bis sein Gewicht eine raue Walze auf den Pneu des Vorderrads drückt. Läuft der Motor, dreht sich die Walze und treibt das Rad an. Um zu verhindern, dass die Walze den Pneu beim Anfahren oder in einer leichten Steigung wegraffelt, hat das Solex eine Fliehkraftkupplung. Der kleine Motor und der genial einfache Antrieb hätten einen Nachteil, sagt Frey. «Das Solex taugt nichts am Berg.»
Die vier Freunde wollten ihre Ausflüge nicht auf flache Fahrten beschränken, deshalb kauften sie als Ergänzung herkömmliche Mofas. Damit sind sie einmal zusammen nach Italien ans Meer gefahren und an ein Mofa-Treffen in Chur. Dort kamen sie auf die Idee, eine ähnliche Zusammenkunft im Emmental zu organisieren. Ein schöner, passender Ort für den Anlass wurde schnell gefunden: Das Jägerhaus im Gohl. Vorigen Monat fand das 9. Mofa-Treffen statt. Über vierhundert Gäste aus der halben Schweiz düsten mit ihren Mofas ins Emmental, vom Teenager bis zum Senior, Frauen und Männer, ganze Familien. Sie bestaunten ausgefallene Modelle, erfreuten sich an der Liveband, tauschten sich aus und fuhren in Formation eine Schlaufe nach Langnau und zurück. «Falls uns jemand einmal begleiten möchte, soll sie oder er sich bei mir melden», sagt Frey zum Abschluss. «Wir haben ein Gästesolex.» Und das Rennrad? «Steht im Keller.»