Gabriele Bürki (links) und Sandra Schär freuen sich an den jungen Katzen, die bald ein neues Zuhause brauchen. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Emmental: Es waren andere Zeiten, als der Tierschutzverein vor 150 Jahren gegründet wurde. So veröffentlichte er die Namen von Tierquälern. Heute setzt man bei Problemen auf Gespräche.
Die Vierbeiner sind ganz klar in der Überzahl im Haus von Gabriele Bürki in Trubschachen. Drei Katzen räkeln sich in der Sonne und blinzeln höchstens zur Begrüssung. Hund Da Vinci ist da weniger zurückhaltend. Die Haustüre darf nur kurz geöffnet werden; nicht alle Bewohnerinnen haben Freigang. Derzeit lebt Gabriele Bürki mit 21 Katzen zusammen. Bei manchen gilt «berühren verboten», andere können nicht genug schmusen. Ein alter, zahnloser Kater fand hier ebenso Aufnahme wie eine Katze mit sechs Jungen. «Ja, momentan ist es etwas viel», sagt die «Katzenmutter» beim Tierschutz Emmental. «Es wird immer schwieriger, ein Zuhause für die Tiere zu finden. Das bereitet mir Sorgen.» 14 Katzen sind eigentlich nur als Zwischenlösung bei ihr. Die meisten stammen von Bauernhöfen, wo sich die Population unkontrolliert vermehrt hat und sie unerwünscht waren.
Vertrauen gewinnen und helfen
«Das Kastrieren und Vermitteln von Katzen ist unsere Hauptaufgabe», sagt Vereinspräsidentin Sandra Schär. Nur wenn sich die Tiere nicht mehr vermehren könnten, werde das Problem an der Wurzel bekämpft. Zuerst müssten sie jeweils das Vertrauen der Landwirte gewinnen. Wenn diese «Tierschutz» hörten, löse dies oft eine Abwehrreaktion aus. «Doch wir sind ein Verein und kein Amt und haben keine Befugnisse, Tiere wegzunehmen oder Vorschriften zu machen. Auch machen wir keine Kontrollen», betont Schär. Sie habe grossen Respekt vor der Arbeit der Bauern. Laufe etwas aus dem Ruder, stehe kaum je böse Absicht dahinter, sondern vielmehr Überforderung. Deshalb biete der Tierschutz Unterstützung an: Freiwillige fangen die Katzen ein, bringen sie fürs Kastrieren zum Tierarzt und wenn möglich wieder zurück. Je nach Situation wird ein Teil der Kosten übernommen. «Unser Ziel ist, gemeinsam Lösungen zu finden und nicht, jemanden an den Pranger zu stellen.»
«Thierquälern» am Pranger
Das war vor 150 Jahren noch ganz anders. Drei Jahre nach der Gründung des Tierschutzvereins Burgdorf, dem Vorläufer von Tierschutz Emmental, wurde an einer «Comité-Sitzung» beschlossen, «Namen, Vergehen und Strafe der Thierquäler des letzten Jahres zu publizieren». Ein Jahr später doppelte das «Comité» nach: Für Anzeigen, welche vom Strafrichter als begründet befunden wurden, gabs eine Belohnung von drei Franken. Es wurden auch Beispiele von Misshandlungen aufgeführt: das längere Stehenlassen von Pferden bei grosser Kälte, das Begiessen der Schweine mit kaltem Wasser bei Winterszeit, das Aufführen von ungemolkenen Kühen und Ziegen auf den Markt, das Zusammenpferchen von Geflügel in engen Behältern, das Aufsitzen auf Fuhrwerken, die nur von Hunden bespannt sind. Katzen aber wurden in einem ganz anderen Zusammenhang erwähnt: 1923 erwirkte der Tierschutzverein für die Gartenbesitzer die Erlaubnis, verwilderte Katzen zum Schutze der Vögel zu beseitigen.
Schaden Katzen der Biodiversität?
Heute beklagen Natur- und Umweltschutzverbände zuweilen die grosse Dichte an Katzen. 1,8 Millionen sind es gemäss Heimtiere Schweiz. Die Raubtiere richteten grossen Schaden an in der Natur, vor allem bei Vögeln und Reptilien. Ist also die Tätigkeit von Tierschutz Emmental zu einseitig und schadet er damit der Biodiversität? «Nein», finden Sandra Schär und Gabriele Bürki. Das Hauptproblem sei nicht die Katze, sondern der Mensch, der den Lebensraum von Tieren zerstöre. Katzen jagten in erster Linie Mäuse. In Quartieren, wo viele lebten und es keine Felder gebe, seien Vögel und Reptilien aber wohl mehr betroffen, räumen sie ein. Problematisch werde es auch dort, wo sie sich unkontrolliert vermehrten und verwilderten. «Genau hier setzen wir ja an mit Kastrations-Aktionen, Sensibilisierung und Aufklärung.»
Umdenken und Zukunftssorgen
Sandra Schär und Gabriele Bürki stellen in den letzten Jahren ein Umdenken fest. Gerade junge Bäuerinnen wollten nicht mehr 20, 30 Katzen auf dem Hof, sie hätten genug von Inzucht und Krankheiten. Und schon gar nicht wollten sie Jungtiere ertränken oder totschlagen. «Das war in früheren Generationen noch gang und gäbe», sagt Gabriele Bürki.
Die gesellschaftliche Bedeutung von Tieren erfuhr seit 1872 einen grossen Wandel. So sind heute ihre Würde und ihr Wohlergehen im Gesetz geschützt. Und seit 2003 gelten Tiere in der Schweiz rechtlich nicht mehr als Sache. «Trotzdem ist es nach wie vor nötig, dass sich Organisationen für sie einsetzen», betont Sandra Schär. So wie der Tierschutz Emmental. Doch der Blick in die Zukunft ist sorgenvoll. Der finanzielle Aufwand sei gross, insbesondere für die Tiere, die auf einer Auffangstationen medizinisch versorgt und aufgepäppelt werden. Gelinge es nicht, mehr Spender zu gewinnen, müssten sie künftig manche Katzen ihrem Schicksal überlassen, befürchten die beiden Frauen.
Die sechs jungen «Büsis» haben ganz andere Sorgen. Sie müssen sich in der neuen Umgebung zurechtfinden. Vorsichtig tapsen sie in die Stube und machen sich über das Futter her.